Black Bottom
nicht aufgegangen; hier bei Jenitzky trafen sich die schlichteren Gemüter, um sich einen auf die Lampe zu gieÃen und möglichst viel Lärm dabei zu machen. Sándor schubste zwei streitende Bayern beiseite â zwei von ein paar Hundert Touristen, die den Laden wahrscheinlich »typisch berlinerisch« fanden â und drängelte sich zur Bar vor. Sprach er Chinesisch, oder hatten sie wirklich keinen grünen Escorial? Immerhin trug das Café Jenitzky seinen Namen nicht grundlos, der Kaffee war passabel, und Sándor Lehmann lehnte sich mit dem Rücken an den Tresen und betrachtete noch eine Weile das Getobe auf und vor der Bühne, in das er gleich mit der Klarinette und â später am Abend â mit Schlagstock und Trillerpfeife eingreifen sollte.
RAZZIA
In dem, was Jenitzky groÃspurig »Künstlergarderobe« nannte â einem kleinen Kabuff neben der Küche, feucht und heià von der Kaffeebrüherei nebenan â, kriegten sie sich erst mal in die Haare. Charlie und Arno waren die Wortführer; die beiden Herren waren was Besseres, sie konnten â wenn man ihren Worten glauben wollte â überall spielen, die Bandleader liefen ihnen die Bude ein, und sie hatten es nicht nötig, ihre Laufbahn mit einem Auftritt in einem Loch wie diesem hier zu demolieren.
Sándor hielt sich zurück und wartete darauf, wie Julian reagieren würde, aber zu seiner Ãberraschung war es Bella â in einem engen schwarzen Kleid, Nerzbolero und weinroter Kappe mit zartem Augenschleier in Schwarz, hinreiÃend! â, die das Wort ergriff. Ihr Plädoyer war flammend; sie packte die Kerle bei der Ehre. SchlieÃlich gehe es partout nicht an, erst sein musikalisches Leben dem Jazz zu widmen, der doch bekanntlich seine Wurzeln im Blues aus New Orleans und St. Louis, den Sklavengesängen der Baumwollpflücker habe, und sich dann zu schade zu sein, diese angebliche schwarze Volksmusik eben hier, vor dem einfachen Volke, darzubieten. Müsse man eine Oberschule besucht haben und ein Konto auf der Bank, um ihre Musik hören zu dürfen?
»Gerade du, Arno â was hast du studiert? Germanistik? Ganz sicher nicht mit deinem Fünfzig-Wörter-Sprachschatz. Da drauÃen sitzen Leute wie du, Leute aus dem Volk, einfache Mädels, ehrliche Kerle, die ein bisschen Spaà haben wollen. Hast du Angst vor proletarischem Ohrenschmalz, der beim Zuhören auf dein edelstes Körperteil tropfen könnte â deine Geige?«
Die Männer wieherten; die Kleine gab dem Geiger Saures.
Arno verteidigte sich nur halbherzig gegen die unverhoffte Attacke: »Aber â unsere Musik ⦠bei dem Radau da drauÃen â¦Â«
Bella lachte schallend wie ein Brauereikutscher, schlug sich auf die Schenkel, brach urplötzlich ab und legte sich den Zeigefinger auf die Lippen. »Pssss â¦Â«
Die Männer lauschten in gebannter Erwartung, was jetzt kommen würde. Doch Bella schwieg. Völlige Stille. Vier, fünf Sekunden.
Dann ihre Stimme, rauchig, tief, verlockend, ein bisschen ironisch:
»Die bringe ich zur Ruhe. Bezweifelt das einer?«
Geräusper. Julian klatschte einen einsamen Beifall und strahlte Bella an; Sándor sah den Blick und empfand impulsiven Hass auf den Freund, der einen Augenblick später wieder abebbte. Er hob eine Braue, deutete auf die Trompetendämpfer und fragte Julian:
»Also kein Extrakrach heute?«
Julian Fuhs schüttelte verträumt den Kopf.
»Im Gegenteil, mein Lieber. Im Herzen des Hurrikans herrscht Stille.«
Die Männer beruhigten sich; ihr Bandleader schien immerhin anzunehmen, dass sie sogar hier in dieser Kaschemme Musik machen könnten. Jenitzky sah noch kurz vorbei â voller als durch die Anwesenheit des dicken Mannes konnte es in dem engen Raum nicht werden, und Sándor ekelte die plumpe, feuchte Patschhand, die der Kneipenboss wie selbstverständlich um Bellas Taille legte. Aus der Nähe betrachtet, strahlte der unermüdliche Impresario noch etwas anderes aus als nur die lautstarke, ungebändigte Fröhlichkeit: eine unbeugsame Härte und Selbstbeherrschung, die in völligem Gegensatz zu seinem sonstigen Erscheinungsbild standen. Ein betrunkenes Rhinozeros, dem nichts entging, das jede Nuance wahrnahm.
»Ist das echt?«, fragte er erstaunt und stupste Bellas Nerzjäckchen gefährlich nah am Dekolleté an. »Hat wohl der Papa bezahlt?«
Sándor
Weitere Kostenlose Bücher