Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Black Bottom

Black Bottom

Titel: Black Bottom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Keune
Vom Netzwerk:
rührte sich, und Jenitzkys Blick streifte ihn mit einem wohlwollenden »schöner Schnurrbart«, auf das er aus gutem Grund nicht näher einging. Währenddessen nestelte Jenitzky einen Umschlag aus der Westentasche, den er neben Julian auf das Schminktischchen legte.
    Â»Die Gage. Im Voraus. Wenn sie kürzer als eine Minute klatschen, will ich euch nie wieder sehen.«
    Er zwinkerte beim Hinausgehen und ließ offen, ob das ein Witz gewesen war oder eine Drohung. Sein flächiges Gesicht hatte eine Unverbindlichkeit, eine Verlorenheit, hinter der sich die Gutmütigkeit eines väterlichen Freundes verbergen konnte – oder die schiere Brutalität.
    Letztlich war es eine Frage der Dramaturgie, und da waren Jenitzkys Techniker mit allen Wassern gewaschen. Ein auf- und abschwellendes Dimmen der Saalbeleuchtung bis zur völligen Dunkelheit, dann rotes, sehr rotes Bühnenlicht, ein einzelner weißer Lichtstrahl, der einen Barhocker beleuchtete, auf dem eine einzelne rote Rose lag: Das war Kitsch pur, und nirgendwo funktionierte Kitsch besser als in diesem Laden. Bella trat aus dem Schatten ins Licht, und schon die nachlässige Handbewegung, mit der sie die schöne Blume achtlos in den Bühnenstaub wischte, reizte das Publikum zu einzelnen Pfiffen und erwartungsvollem Johlen. Bella zog das Mikrofon heran und sang a cappella in die Stille hinein, in der jeder einen Basslauf, ein Klaviervorspiel erwartet hätte:
    Â»I work at the Palace Ballroom … I’m much too tired to sleep …« Ein Seufzen ging durch das Publikum, und von diesen ersten mehr gehauchten, gesprochenen Worten, zu denen sich jetzt nach und nach die Instrumente gesellten, glänzendes Blech, das vom Lichtkegel erfasst wurde, die schwarze, wuchtige Silhouette des Basses, die reflektierenden Kringel der Trommelränder – von diesen ersten Worten an war klar, dass sie gewonnen hatten; dass auch das Publikum in diesem krawalligen Vergnügungslokal auf Jazz intuitiv so reagierte, wie Jazz gemeint war: subtil, komplex – aber letztlich emotional und ganz einfach. Bellas Stimme füllte den Raum, der Rhythmus überholte sie, übernahm die Führung. Die Blechbläser schnitten die stickige Luft in glänzende schwarze Scheiben, und Sándors Klarinette kringelte sich perlend wie ein wucherndes, rankendes Silberornament um diese Sängerin und ihren sich wiegenden Körper im schwarzen Samtkleid.
    Eine knappe Stunde später stand Sándor ohne seinen roten Schnurrbart in einem Hauseingang neben Jenitzkys Café und sah auf die Armbanduhr. Zwei einzelne Automobile hielten an; drei Männer von der Einsatzbereitschaft und Belfort, der blass und hochkonzentriert wirkte, gegen den abends eingesetzten Nieselregen in einen schwarzen Ledermantel gewickelt, dessen Kragen er hochgeschlagen hatte. Er hatte den Grundriss dabei, aber Sándor hatte sich mit den Räumen vertraut gemacht und wies die Männer schnell ein.
    Â»In vier mal sechzig Sekunden gehen wir rein – Uhrenvergleich, meine Herren. 9 Uhr 7 Minuten 10 Sekunden. Zugriff ist 9 Uhr 11 Minuten.«
    Die anderen nickten. Er fuhr fort:
    Â»Ich selbst gehe wieder in den Saal und hefte mich an Jenitzkys Fersen, falls der Kerl abhauen will. Sein einziger Fluchtweg wäre nebenan durch die Taubenstraße, und da« – er deutete auf einen der Männer, es war Hansen – »stehen Sie, Kollege. Haben Sie den Durchsuchungsbeschluss, den Aktenwagen, Beschlagnahmelisten?«, wandte er sich an Belfort. Der hielt eine Antwort nicht für nötig; selbstverständlich hatte er.
    Sándor nickte.
    Â»Sie gehen vorne rein, durch den Haupteingang, mit dem halben Trupp. Das Publikum wird zu den Garderoben drängen und raus wollen; da müssen Sie ein paar Männer postieren. Der Rest geht die Tische ab und stellt Personalien fest; Sie treffen mich mit vier Männern am Aufgang zu Jenitzkys Büro. Von der Taubenstraße aus stürmen Sie« – wieder der erste der Männer – »das Büro und sorgen dafür, dass nichts wegkommt. Sie treffen uns dort oben, und wir kämmen uns akribisch durch jeden Quadratzentimeter Papier und alles, was wir sonst noch finden.«
    Sándor sah erneut auf die Uhr.
    Â»9 – 8 – 0. Meine Herren!«
    In zwei Seitenstraßen warteten die Mannschaftswagen mit abgeblendetem Licht und ausgeschalteten Motoren. Sándor ging zurück in das Café, kramte dabei

Weitere Kostenlose Bücher