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Black Bottom

Black Bottom

Titel: Black Bottom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Keune
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hätte ohne große Mühe zwanzig, dreißig weitere Bandnamen hinzufügen können, die Hussong hier offenbar nicht als jüdisch auflisten konnte – um von national gesinnten Kapellmeistern wie Oscar Joost, der die deutsche Tanzmusik am liebsten von allen Jazzeinflüssen »gesäubert« hätte, gar nicht erst anzufangen. Joost war zu Sándors Leidwesen immer wieder auch in der Femina zu erleben; Liemann, der Opportunist, wollte seinem Publikum wahrscheinlich die maximale musikalische Bandbreite bieten, und es gab regelmäßig Reibereien zwischen den »hotten« Jazzern und den stumpfen Marschmusikanten aus dem Stalle Joost. Einmal hatte Charlie Hernsdorf Joosts Schlagzeuger samt Trommeln, Becken und Veteranenuniform von der Bühne gekippt und ein halbes Jahr Hausverbot dafür kassiert.
    Der Hetztiradenschreiber vom
Lokal-Anzeiger
jedenfalls sah seine akribische Auflistung als schlagenden Beweis für die These, dass es einen jüdischen Plan zur Übernahme der Führung in der deutschen Kulturlandschaft geben musste, und weil Rosenbergs »Kampfbund für die deutsche Kultur« nur Reden hielt und nichts unternahm, musste das Berliner Publikum selbst aktiv werden – »vielleicht nicht gleich mit einer Gasgranate, womöglich der ehrlichen Antwort eines deutschen Frontsoldaten auf die Zumutung des Niggerjazz, aber doch mit dem deutlichsten und schmerzhaftesten Verhalten, das einem Etablissement zugefügt werden kann: dem Fernbleiben. Wenn deutsche Volksgenossen sich endlich zu ihrem kulturellen Empfinden bekennen und die Orte, in denen diese animalische, unsittliche Musik aufgeführt wird, konsequent meiden – dann werden auch Geschäftemacher wie der Jude Liemann begreifen, dass sie gegen dieses geeinte Volk nichts ausrichten können. Es stimmt froh, zu sehen, dass dieses beherzte Vorgehen nicht erst seit dem Gasangriff auf die Femina zusehends Schule macht: Gemunkelt wird nicht erst seit heute von Finanzproblemen bei allen großen jüdischen Negermusiksälen; ein Gerücht, das jeden kulturbegeisterten Zeitgenossen nur mit Freude und Erleichterung erfüllen kann.
    Und gebietet es nicht letztlich die Menschlichkeit, einer offenbar von Selbstzweifeln geplagten, tragischen Figur wie dem populären Negerjazzpianisten Julian Fuhs aufmunternd zuzurufen: Kopf hoch, Volksgenosse, dir ist kein Bühnentod beschieden, denn die Bretter, auf denen du spielst, sind längst verpfändet? Du wirst deine Laufbahn nicht vor irregeleitetem Publikum beschließen, sondern kannst dir schon jetzt darüber Gedanken machen, wie du dem Volkskörper als Ganzes mit ehrlicher und harter Arbeit zurückgeben kannst, was du ihm schuldest!«
    Sándor Lehmann faltete das Blatt behutsam zusammen und legte es vor sich auf den Schreibtisch.
    Â»Und nun?«, fragte er mit müdem Aufatmen. »Soll ich das Blatt abonnieren oder was? Steht hier drin, wer der Täter ist?«
    Belfort brummte ungnädig wie ein Hilfslehrer, der seinem Zögling zum achten Mal einfaches Addieren beibringen musste:
    Â»Sehen Sie doch einfach der Tatsache ins Auge, dass diesen jüdischen Zweckverbänden allmählich die Puste ausgeht. Die Presse duldet das nicht mehr, die Leute bleiben auch weg, die Luft wird immer dünner. Und wo die Luft dünner wird, finden Verdrängungswettkämpfe statt. Die Kapellen haben weniger Auftrittsmöglichkeiten, die Leute merken, dass nicht alle überleben können, die Großen beginnen, die Kleinen zu fressen – oder sie wenigstens kaputt zu machen. Genau dieser Entwicklung sehen wir gerade zu. Wenn die juristischen Itzigs ihren Jenitzky auch noch so üppig mästen und überall brillant rauspauken: Am Ende wird keiner von ihnen allen das Spiel gewinnen. Deshalb brauchen wir uns keine Sorgen zu machen, wenn uns wie gestern mal jemand in die Parade fährt: Die Juden schaffen sich schon selber gegenseitig ab, und das nimmt uns eine Menge Arbeit ab, Ihnen und mir, glauben Sie mir.«
    Sándor seufzte leise auf. Viele Jahre war er nun schon Kriminalkommissar, und die Technik und die Methoden hatten sich stetig verfeinert und verbessert. Dass jetzt neuerdings noch politische Nachhilfestunden aus unberufenem Munde dazukommen sollten, hielt er für alles andere als einen Fortschritt.
    Er rieb sich die Augen und Schläfen mit einer müden Handbewegung. Viel Schlaf gab es auch nicht zurzeit. Obwohl er am heutigen

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