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Black Bottom

Black Bottom

Titel: Black Bottom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Keune
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Sie sich auch so schon eingehandelt.«
    Er reichte Belfort eine Visitenkarte aus dem Wagenfenster.
    Â»Ich denke, Sie haben nichts dagegen, uns nun zu unserem Mandanten hinauf zu lassen, nicht wahr? Wenn Sie nichts Belastendes gefunden haben – und davon möchte ich doch stark ausgehen –, sehe ich nicht ganz, woher Sie die Berechtigung nehmen, sich hier weiter aufzuhalten. Es ist immerhin zehn Uhr abends; der arme Herr Jenitzky wird Hunger haben; wir haben deshalb im Restaurant Horcher einen Tisch reserviert, um mit ihm einen flambierten Faisan de presse zu essen und den neuen Château d’Yquem zu probieren. Er soll ganz passabel ausgefallen sein dieses Jahr.«
    Belfort war kreidebleich geworden, und Sándor hatte für einen Augenblick den Eindruck, dass er kurz davor stand, seine Pistole aus dem Holster zu ziehen und die sechsschüssige Trommel in das Prunkautomobil zu entleeren. Stattdessen trat auch Belfort nun einen Schritt zurück, breitete wutzitternd einen Arm zu einer ironisch einladenden Geste aus und ließ mit der anderen Hand die goldgeprägte Visitenkarte der renommierten, stadtbekannten Anwaltskanzlei in den feuchten Schmier der Taubenstraße fallen.

JUDEN
    Am nächsten Morgen hatte Belfort Schatten um die Augen und ein amüsiertes Lächeln im pausbäckigen Jungengesicht. Er klatschte Sándor – der ausnahmsweise vor ihm im Präsidium war – die druckfrische Ausgabe des
Lokal-Anzeigers
auf den Schreibtisch. »Der Tod trägt Smoking« stand da neben einem düsteren, von flächigen Schatten dominierten Foto von Julian Fuhs. »Jüdische Jazzmusiker: Wir verlassen die Bühne nur als Leiche«. Sándor lief es kalt den Rücken runter, und er bemühte sich, Belfort den Schrecken nicht merken zu lassen. Was hatte Julian da verzapft?
    Doch Fuhs’ Antworten auf die Interviewfragen waren nur die verzerrt wiedergegebenen Stichworte, an denen der Autor des Leitartikels seine Theorie einer jüdischen Musikverschwörung entwickelte. Vielleicht war es Friedrich Hussong selbst, einer der rhetorischen Wegbereiter der Nationalsozialisten, der hier in die Tasten gegriffen hatte. Er führte auf den Titelseiten der Scherl-Blätter einen Krieg gegen Theodor Wolff, Kurt Tucholsky oder Carl von Ossietzky – nicht mit sauberer Recherchearbeit, sondern mit Demagogie und Hetze. Jedenfalls lieferte seine alphabetisch sortierte »Liste der jüdischen Tanzkapellen in Berlin« nicht mal ein Viertel der Bandnamen, die nachts auf den Bühnen standen – doch unbewanderte Leser mussten von der schieren Menge beeindruckt sein und den Eindruck bekommen, dass wahrhaftig ein jüdischer Plan zur »Vernegerung« der deutschen Kultur, zum »kulturbolschewistischen Unterwandern unserer Hochkultur« im Gange war.
    Sándor Lehmann verriet mit keiner Miene, dass er mit den meisten der hier Genannten per Du war, und studierte interessiert die lange Liste, die Hussong in einer fanatischen Fleißarbeit zusammengetragen hatte:
    Â»Baskini, Sam, weißrussischer Jude. Leiter der Jazz-Symphoniker mit Auftritten im Café Berlin, bei Karstadt am Hermannplatz, in den Ostseebädern.
    Bela, Dajos (Künstlername von Leon Golzmann, geboren in Kiew). Leiter der Hotelkapelle im Adlon und Excelsior.
    Berlin, Ben (eigentlich Hermann Bick, geboren in Tallinn, Estland). Orchesterleiter im Delphi und im Karstadt-Dachgarten.
    Borchard, Eric (eigentlich Erich), Berliner. Mit seiner Kapelle in etlichen Tanzlokalen aktiv.
    Dauber, Dolfi (eigentlich Adolf) aus Wiznitz bei Tschernowitz, Bukowina. Kapellmeister u. a. im Delphi …«
    So ging es eine ganze Spalte lang weiter: René Dumont aus Straßburg; Norbert Faconi, der eigentlich Cohn hieß; Julian Fuhs; der Budapester Ernö Geiger; Adolf Ginsburg; Lud Gluskin, der russischstämmige Amerikaner; Paul Godwin (der eigentlich Pinchas Goldfein hieß) aus Sosnowitz; James (eigentlich Arthur) Kok aus Tschernowitz/Bukowina; Ilja Livschakoff; Ludwig Rüth; Efim Schachmeister aus Kiew; Michael Schugalté (eigentlich Moses Schuchhalter) aus Odessa; die Studentenkapelle »Sid Kay’s Fellows« von Sigmund Petruschka und Kurt Kaiser; Otto Stenzel; Marek Weber aus Lemberg; der Filmkapellmeister Stefan Weintraub aus Breslau und die »Weißen Raben« um Rudi Fehr – ihnen allen widerfuhr die zweifelhafte Ehre einer Nennung. In der Tat, die Liste war lang, aber Sándor

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