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Black Bottom

Black Bottom

Titel: Black Bottom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Keune
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selber keins, doch wie jede gute Kneipenwirtin hatte sie ein Ohr für die Stimmung eines Abends, die Zwischentöne und Melodiewechsel drinnen und draußen vor der Bar. Dass sich auf der Straße Unheil zusammenbraute und das Plaudern der Passanten sich zu einem anfeuernden Johlen hochschaukelte, merkte sie trotzdem erst sehr spät – das Gelächter und Gebrummel der »Follies« im Hinterzimmer hatte sie eingelullt und ihr das trügerische Gefühl von Sicherheit gegeben. Binnen Sekunden kippte diese Stimmung, als unter dem Begeisterungsgeschrei des Pöbels die unlängst neu eingesetzte und verkittete Scheibe eingedroschen wurde und die uniformierten Prügelgarden durch die Tür hereingestürmt kamen. Hertha hatte Courage, doch diese Übermacht war zu groß, und sie schrie um Hilfe, so laut sie konnte. Offenbar hatten die Angreifer nicht bemerkt, dass da eine ganze Jazzkapelle im Hinterzimmer gesessen hatte, und in den schrillen Schrei seiner Mutter hinein war Julian schon nach vorne gestürmt, gefolgt von Arno Lewitsch und den anderen, und sie hatten sich die Barhocker geschnappt und gekämpft. Allerdings war für das sperrige Mobiliar in dem schmalen Ausschank kaum Platz, und die Angreifer waren trainiert und zielstrebig; sie hatten Holzknüppel und Messer dabei, mit denen einer von ihnen Julians Smokingärmel der Länge nach aufschlitzte. Immerhin streckte Arno den vorderen Mann mit seinem Hocker nieder, doch darauf nestelte einer der SA-Männer eine schmale, langläufige Pistole aus seiner Koppel. Mutter Fuhs hörte den Warnruf, der ganz offensichtlich von Bella stammte.
    Â»Eine Pistole, Julian – pass auf!«
    Sie sah, wie der Mann den Arm hob, doch in diesem Augenblick tauchte Sándor Lehmann, der sich zum Treffen der Band verspätet hatte, mit seinem lächerlichen Schnurrbart hinter den SA-Männern auf, arbeitete sich mit verbissenen Faustschlägen und rabiaten Handkantenschlägen auf Kehlen und Schläfen vorwärts.
    Â»Fallen lassen, Polizei!«, schrie er in das lärmende Durcheinander, und der Pistolenmann wandte sich zur Tür, um zu sehen, wer ihnen da in den Rücken fiel. Hertha Fuhs griff, was sie zu fassen bekam – einen kiloschweren versilberten Sodasyphon –, und schlug zu. Die Pistole fiel auf den Boden; der SA-Mann machte eine verrenkte Drehung und schlug der Länge nach hin. Die restlichen Uniformierten zertrümmerten zum Abschied noch das verspiegelte Glasregal und die Eingangstür und türmten.
    Hertha bekam nun doch weiche Knie; sie lugte über den Tresen und fragte ängstlich: »Ist der Mistkerl tot?«
    Sándor lachte bitter und schüttelte den Kopf. Er zerrte die beiden Niedergeschlagenen auf den Gehweg und bewachte sie bis zum Eintreffen der Schutzpolizei. Als die grüne Minna um die Ecke bog, übergab er die Aufsicht über die zwei Gefangenen dem immer noch wutschnaubenden Arno, der dem wacheren der beiden einen krachenden Tritt in die Rippen verpasste. Hertha Fuhs legte dem Geiger besänftigend die Hand auf den Unterarm und schüttelte den Kopf. Ärger hatten sie auch so schon genug.
    Sie sah hinüber zu ihrem klarinettespielenden Schutzengel, der der blassen Bella, rauchend an die Hausfassade gelehnt, den Arm um die Schulter gelegt hatte. Ihre Stimme war rau.
    Â»Los, Kinder, haut ab hier. Es gibt angenehmere Orte für eine Sommernacht als das Polizeirevier.«

TIERGARTEN
    Eine Stadt kennen hieß: Schlupfwinkel kennen, Wege gehen, ohne Straßen zu benutzen, über Stiegen und Gartentore, durch Höfe, über Dächer. So neu konnte eine Stadt gar nicht sein – und Berlin war in den letzten vierzig, fünfzig Jahren erst auf diese monströse Größe, diese verdichtete Innenstadt gewachsen –, dass ihre Bewohner nicht Abkürzungen entdeckten, Trampelpfade anlegten, Schleichwege benutzten. Das Gesindel kannte diese Wege, die Strolche, die durch fremde Wohnungen zogen, um Beute zu machen. Und ein guter Polizist kannte diese Wege auch, oder zumindest viele davon. Sándor hatte sich im Wedding immer abseits der Straßen bewegt als Kind; das war sicherer, man bekam weniger Keile, und die Erwachsenen beobachteten einen nicht bei seinen Unternehmungen. Doch auch danach hatte er ein Auge für die Abnutzung einer Tür, eine Senke in einem Drahtzaun behalten, und eher in seinen Füßen als in seinem Gehirn war ein zweiter, geheimer

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