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Black Bottom

Black Bottom

Titel: Black Bottom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Keune
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unberechenbarer; er bevormundete, bewunderte, ärgerte sie. Er kratzte an dem Bild, das sie abgeben wollte und an dem sie hart gearbeitet hatte.
    Frau zu sein in diesem Geschäft, das war etwas, für das es kein Vorbild gab. Sicher, da draußen in der riesigen Stadt gab es Dutzende, vielleicht Hunderte von Frauen, die in der Grellheit ihres Auftritts noch vor zehn, zwanzig Jahren unvorstellbar gewesen waren; starke Frauen, unabhängig und auf einem eigenen Weg. Wie viele Abende hatte Bella in Trude Hesterbergs »Wilder Bühne« zugebracht, dem Kabarettkeller in der Kantstraße 12, und hingerissen an den Lippen der urkomischen, rabiat politischen Trude gehangen? Aber so sehr sie die Chansons von Kästner, Tucholsky oder Friedrich Hollaender liebte: Das war nicht ihre Musik, und eine Ulknudel im Kabarett wollte sie auch nicht werden.
    Andere Frauen suchten andere Wege: Die Lesben in den Pianobars und Dichterzirkeln kleideten sich wie die Männer; das sah aufregend aus, war für sie selbst, für Bella, aber nur ein kurzer Reiz. Frauen wie die Baker oder Doddy Delissen zeigten den gaffenden Kerlen blanke Haut und führten ganze Konzertsäle wie am Nasenring durchs Programm: ein Machtgefühl, das sie auch schon kennengelernt hatte, das berauschend war und gleichzeitig so desillusionierend und künstlerisch unbefriedigend wie ein Auftritt vor einer Horde Urzeitmenschen.
    Gab es keinen anderen Weg zwischen Männerspielen, Kabarett und kokettem Flirt? Konnte sie nicht als Jazzsängerin arbeiten, ohne die schmachtende Geliebte oder das männermordende blonde Gift zu markieren? Bessie Smith, die Kaiserin des Blues, und eine Handvoll anderer Bluessängerinnen vor ihr wie Ma Rainey oder Ida Cox, deren Schallplattenaufnahmen über den großen Teich geschippert kamen, nahmen sich, was ihnen zustand. Sie hatten ihren Weg hinaus aus den Revuen und Minstrel Shows auf die Jazzbühnen von Chicago und New York geschafft, und sie standen dort oben – Schwarze! Frauen! – mit strahlendem Selbstbewusstsein, das ihnen schon fast als normal zugebilligt wurde.
    Normalität durchzusetzen in diesen unnormalen, turbulenten Jahren: Das war ein Anspruch, der kaum zu halten war, der immer wieder auch unter ihren eigenen Gefühlen und Reaktionen in die Brüche ging. Eben war sie noch die selbstbewusste Sängerin, die dem Bandleader mit einem hingerotzten »Diesen anspruchslosen Mist singe ich nicht!« die Partitur auf den Klimperkasten knallte – und eine halbe Stunde später stakste sie ergeben über wackelige Holzplanken hinter einem starken Mann her, auf seine Führung angewiesen; darauf, dass er immerhin den Weg zu wissen schien durch diese gewalttätige, gefährliche Stadt.
    Tatsächlich öffnete sich am Kahn nach einem kurzen, energischen Klopfzeichen eine knarrende Luke, und Sándor und Bella stiegen, atemlos von der ihnen entgegenschlagenden Wärme nach der kühler gewordenen Frühsommernacht, hinein. Während der Musiker wortlos eine ältere Frau mit Handschlag begrüßte, blieb Bella in der Mitte des gewölbten Raumes stehen und sah sich fassungslos um. Mit einer solchen Wohnlichkeit, diesem Traum in Plüsch und Nippes, hatte sie an diesem menschenleeren Teil der Stadt am allerwenigsten gerechnet – doch der Kahn war kein Hausboot, es war keine Schifferkajüte, sondern ganz unverkennbar ein Bordell. Tatsächlich lungerten in einer Ecke auf einer fellbelegten Bank zwei leidlich junge Damen, die sich bei ihrem Eintre ten erwartungsvoll aufgerichtet hatten, nun aber wieder desinteressiert auf der Bank vor sich hin dösten. Ganz offenbar hatten sie Lehmann erkannt – ein alter Kunde, da war sich Bella sicher –, Lehmann, der in dem niedrigen Schiffsrumpf den Kopf leicht neigen musste und in gedämpftem Ton mit der Puffmutter sprach. Die klatschte schließlich leise in die Hände und befahl: »Geht ins Bett, Kinder, wir machen für heute Feierabend, es kommt ja doch keiner mehr.« Tatsächlich ging sie selbst noch einmal an Deck, um die Laterne zu löschen und damit das unzweideutige Signal für Eingeweihte, dass das schwimmende Bordell in Betrieb war.
    Sie selbst folgte den beiden Mädchen allerdings noch nicht in die mit einer soliden Eichentür und einem »Privat«-Schild vom Gastraum abgetrennten Zimmer, sondern räumte zunächst ihr Handarbeitszeug vom Tisch in der Raummitte, der als

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