Black Bottom
seinem eigenen echt waren. Im Nu hatte sie wieder der Morgendunst verschluckt; Kröten quakten, und von der Tiergartenschleuse drang das Rasseln der Kette herüber, die der Schleusenwärter für einen ersten, frühen Kahn hochkurbelte.
Sándor hatte sich an die verplankte schwarze Bordwand des Bordellschiffes gelehnt, die sonst in der Mittagssonne heià zurückstrahlte, aber heute früh so klamm und abweisend wirkte wie der ganze Morgen.
Was hatte er da verzapft letzte Nacht? Unwillig kaute er auf einer nicht angezündeten Zigarette herum, den Jackenkragen hochgeschlagen, die FüÃe gegen die grasbewachsene Uferböschung gestemmt. Dass sich was anbahnte mit Bella, hatte er schon eine Weile gespürt. Eigentlich vom ersten Moment an. Aber hätte er mit der Sache nicht noch warten können, bis der Fall abgeschlossen war? Die SA, Jenitzky, der erstochene Hallstein und der Angriff auf die Femina: Es ging um Leben und Tod. Und jetzt, wo die braunen Prügelgarden sich Hertha Fuhsâ Kneipe zur Zielscheibe gewählt hatten und Jenitzky womöglich seinen eigenen, proppenvollen Laden unter Gas setzen wollte, gefährdete er seine Unabhängigkeit und manövrierte sich in eine Beschützerrolle für die kleine Bella hinein. Die erstens gut auf sich selbst aufpassen zu können schien und die zweitens, wenn sie in seiner Nähe blieb, eher in unnötige Gefahr geraten würde. Obendrein hatte er notgedrungen seine Deckung aufgegeben und Bella in sein gut gehütetes Geheimnis eingeweiht â ebenfalls ein Wissen, das ihr mehr schaden als nutzen könnte. Hatte er ein bisschen angeben müssen mit der Kriminalbeamten-Nummer, oder hatte es nach dem entlarvenden Schnurrbart-Intermezzo wirklich keinen anderen Weg mehr gegeben, als Bella alles zu erzählen? War er erleichtert gewesen, endlich eine Verbündete zu haben, wenigstens für ein paar Stunden, und hatte die Erleichterung ihm die Zunge gelockert ⦠oder der Alkohol? Verdammter Schnaps!
Sándor schüttelte missbilligend den Kopf, lieà die Zigarette zwischen Boot und Ufer ins Wasser fallen, als ob der nicht brennende Glimmstängel eine Feuersbrunst entfachen könnte, und trollte sich in Richtung Bahnhof Zoo.
GAS (II)
Am Nachmittag trafen sich die »Follies« sicherheitshalber nicht in Mutter Fuhsâ Bar, die sie verriegelt und verrammelt hatte, um nicht zur Zielscheibe weiterer Angriffe zu werden, sondern auf Julians Anweisung hin um die Ecke im Romanischen Café. In einem groÃen Laden wie diesem konnte zwar an jedem Nachbartisch ein Spitzel sitzen, doch dafür bot die groÃe Menschenmenge Schutz vor Angriffen gegen Einzelne oder gar Festnahmen durch Polizeibeamte. Wobei Julian gar nicht klar war, was genau gegen sie vorlag. Waren sie nur zufällig ins Visier der SA geraten, die in der momentanen Wahlkampfzeit den Druck auf der StraÃe erhöhte und mit Prügelexzessen wie dem gestrigen Stimmung gegen die Juden machte? Denn absurderweise warf man den nächt-lichen Krawall nicht den SA-Männern vor, sondern Julian Fuhs und seiner Mutter, deren »Niggerjazz-Keller« oder »Jidden-Versteck« schlieÃlich eine Provokation war, mit der sie sich die Ãbergriffe der Braunhemden selbst zuzuschreiben hatten. Diese Erkenntnis â die er aus Bemerkungen von Passanten, dem Brief-träger und ein, zwei Ladeninhabern in der Nachbarschaft gewonnen hatte, nichtjüdischen Ladeninhabern natürlich â hatte Julian Fuhs fast noch mehr schockiert als der Vorfall selbst. Der war für alle Beteiligten einigermaÃen glimpflich ausgegangen. Arno Lewitsch und er waren von der Schutzpolizei in der grünen Minna ins Präsidium gebracht worden. Die beiden vermöbelten SAMänner hatte man praktischerweise gleich in denselben Transportwagen gesteckt, und Julian war scheiÃfroh gewesen, dass die zwei so viel eingesteckt hatten, dass sie die Fahrt in liegender Haltung vorzogen.
Auf dem Revier waren sie fast zwei Stunden vernommen worden mit einer Akribie, die auch bei Julian den Eindruck erweckte, dass er hier als Tatverdächtiger befragt wurde, nicht als Geschädigter. Doch schlieÃlich waren sie freigelassen worden und eilig in die Nürnberger StraÃe zurückgekehrt, wo die anderen aus Kellerluken und Tischplatten notdürftig eine Verkleidung für die zertrümmerten Scheiben zusammenflickten, die über Nacht als Schutz vor weiteren
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