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Black Bottom

Black Bottom

Titel: Black Bottom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Keune
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Eindringlingen taugen musste.
    Im Romanischen Café war alles wie immer, fand Julian. Vielleicht machte das einen abgewrackten, fragwürdigen Laden wie diesen zur Institution: dass er sich hartnäckig jedem Trend widersetzte und über Jahrzehnte so blieb, wie er war. Das Publikum war fast das gleiche, die Politik der Reichshauptstadt schwappte kaum herein, und nicht mal die Speisekarte hatten sie geändert – die war immer noch so, hebräisch für erbarmungswürdig: »rachmonisch« wie das ganze Kaffeehaus. Das gleiche Schnitzel hatte es vor zehn Jahren schon gegeben, und böse Zungen behaupteten, es sei sogar dasselbe Schnitzel wie vor zehn Jahren. Und hatte jemals jemand anderes die angestoßene Drehtür bewacht als Herr Nietz, der nachmittags um vier – vor einer halben Stunde also – seinen Posten einnahm und wie Gottvater persönlich die Guten, Prominenten ins »Schwimmerbassin« dirigierte, den quadratischen Gastraum hier links, in dem auch die »Follies« saßen, und die Schlechten, Gaffer, Mittellosen ins »Nichtschwimmerbecken«, das große Rechteck rechts, wo man noch viel länger auf den Kellner wartete und womöglich auch noch froh darüber war, weil man ohnehin kein Geld zum Ausgeben dabeihatte, sondern aufs Betteln angewiesen war?
    Man musste schon ein sehr abgebrühter Selbstdarsteller sein, um sich im Romanischen Café wohlzufühlen. Der Laden hatte etwas niederschmetternd Hoffnungsloses, man wurde melancholisch hier, und wer schon mit einer Melancholie hereinkam, der versuchte umgehend, sich umzubringen – zum Beispiel, indem er Eier im Glas bestellte, zwei trübe glasig gekochte, schalenlose Eier, die wie tote Goldfische in einem gläsernen Eisbecher schwammen und auch mit horrenden Beigaben von Worcestershiresauce, Pfeffer und Salz nicht wieder lebendig gemacht werden konnten. Arno Lewitsch hatte gegen Julians Rat den Fehler gemacht, Eier im Glas zu bestellen – den Fehler machte er jedes Mal –, und nun starrte er traurig in das verquirlte, schlierige Gelee und wusste nicht, ob er es essen sollte oder einem der zwischen den Tischen herumirrenden Schnorrer schenken, die allerdings ausnahmslos auf Geld aus waren und diese kulinarischen Almosen empört von sich gewiesen hätten.
    Ãœberhaupt war die Stimmung bei den »Follies« fürchterlich, und auch Bella, die erst wenige Male bei den Proben und diesen männerbündlerischen Treffen gewesen war, wirkte übermüdet und wortkarg. Julian Fuhs drückte sich zusammengesunken und verkrümmt in seinen Fauteuil, umgeben von zwei zornigen Blechbläsern, die angriffslustig in alle Richtungen spähten und jeden niedergeschlagen hätten, der ihrem Chef zu nahe gekommen wäre. Er wirkte wie die Prinzessin auf der Erbse; behütet, aber unbequem sitzend; auf Händen getragen und gezwickt zur selben Zeit.
    Â»Ich meine«, murmelte Julian und fühlte sich, als müsste er sich selbst die Welt neu erklären, »ich meine, wir stehen im Rampenlicht, wir stehen auf der Bühne und sind Juden, und dass wir nicht nur Freunde haben können, versteht sich von selbst. Aber meine Mutter«, eine wilde Traurigkeit erfasste ihn, und er hatte für einen Augenblick Tränen in den Augen, die Lily Löwenthal, neben ihm auf der Sesselkante hockend, bestürzt die Augen aufreißen ließen, »meine Mutter sollen sie da raushalten, verdammt noch mal!« Er knallte die Rechte, die in einen leichten Verband gewickelt war, auf die gläserne Rauchtischplatte, und die anderen beruhigten ihn, um keinen »Ausweis« zu riskieren – eins der kleinen Pappkärtchen, die die Kellner an allzu hartnäckige Schnorrer, potenzielle Zechpreller und exaltierte Randalierer verteilten.
    Â»Sie werden gebeten, unser Etablissement nach Bezahlung Ihrer Zeche zu verlassen und nicht wieder zu betreten«, stand auf diesen Karten, und Herr Nietz am Eingang hatte ein dermaßen unbestechliches Personengedächtnis, dass kein jemals derart Ausgewiesener vor dem Ablauf der verhängten Zwangsabwesenheit zurückgekommen war.
    Julian beruhigte sich. Er schüttelte den Kopf.
    Â»Ihr habt Recht. Mama ist ja nichts passiert. Der Laden ist zwar in Trümmern, aber letztlich nichts, das man nicht wieder reparieren oder neu kaufen könnte, nur eine Menge Scherben.«
    Â»Immerhin haben wir denen gezeigt, was Hot Jazz ist, Julian«, warf Charlie

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