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Black Bottom

Black Bottom

Titel: Black Bottom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Keune
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ein, und Arno machte ein paar imaginäre Faustschläge in der Luft, fauchte »Ja! – Ja!« und warf die Eier um. Fuhs nickte gutmütig und schwieg. Dann räusperte er sich.
    Â»Ich habe überlegt, dass wir uns vielleicht ein bisschen aus der Schusslinie nehmen sollten. Dieser Kapellenwettbewerb im Café Jenitzky, ich bin mir nicht sicher, ob …«
    Doch da war es wieder Bella, die müde, fast bitter, aber mit einer klaren Bestimmtheit in der Stimme widersprach.
    Â»â€¦ nicht sicher, ob wir klein beigeben sollten? Julian, hast du nicht begriffen, worauf es diese Totschläger angelegt haben? Die wollen nicht die Schnapsflaschen deiner Mutter zerschlagen, die wollen dich, uns alle, runterprügeln von der Bühne!«
    Â»Und weil wir keine Prügel wollen, gehen wir gar nicht erst rauf auf die Bühne«, schlussfolgerte Julian mit unglücklichem Gesicht, aber Bella lachte nur.
    Â»Unsinn. Weil sie uns in Wahrheit eben doch nur angreifen können, wenn wir nicht auf der Bühne stehen, ist kein Ort sicherer. Im Licht der Öffentlichkeit sind wir unangreifbar; jede ver kaufte Schallplatte ist eine kleine runde Lebensversicherung; wenn das Volk unsere Musik liebt, dann wird auch uns nichts geschehen. Wir machen Musik, da können die Nazis sich auf den Kopf stellen!«
    Julian seufzte unschlüssig, aber Arno Lewitsch deutete mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf Bella und freute sich.
    Â»Schreib das auf, Mädel, auf dem Kopf stehen, nicht schlecht für die Bühne … Geige spielen und kopfstehen, ich werde das mal versuchen.«
    Jetzt war es Sándor Lehmann, der anderer Meinung war als Bella; er hatte die ganze Zeit über zwei Tassen starkem Kaffee gebrütet, die er sich beide gleichzeitig bestellt hatte, um nicht zwischen der ersten und der zweiten Tasse unnötig auf den Kellner warten zu müssen; sowieso hatte er den schlafmützigen Kerl schon beim Eintreffen mit seinen Kommandos auf Trab gehalten.
    Er sah sich um im Romanischen Café, das er normalerweise mied, weil in diesem Intellektuellenladen das Berlin, wie er es kannte, außen vor blieb – kein kriminelles Milieu, keine Akteure des stadtweiten Netzes, in dem sie alle zappelten und ihre Kreise zogen. Das hallenartige Geschoss war erst halb voll, der Tag war noch jung; es gab nur einen Schwarm Berlinbesucherinnen auf Bildungsreise, die sich kichernd oben an den Dametischen herumdrückten und zum Schein eine Partie Dame spielten, dabei aber inbrünstig hofften, einen der prominenten Besucher des »Rachmonischen« in persona erleben zu dürften; Max Slevogt vielleicht, Emil Orlik, Max Liebermann. Behelligt wurden sie vom notorischen John Höxter, einem Faktotum, das distinguiert wirkte wie ein englischer Lord – distinguiert, aber nicht gerade frisch gebadet –, Höxter, der alle kannte, über die Tagesabläufe dieser Herren Generalkünstler genauestens Bescheid wusste und für eine Spende von, sagen wir mal, fünfzig Pfennig auch bereitwillig Auskunft gab.
    Dabei waren die großen Zeiten des Romanischen Cafés längst vorbei, und genau besehen: Hatte es sie überhaupt gegeben, die großen Zeiten? Ja, sicher, früher waren mehr Künstler hier gewesen und weniger Kritiker, mehr Schriftsteller und weniger Buchdrucker und Verleger. Mehr arme Schlucker und weniger Mitverdiener am großen Boom der Unterhaltungskultur.
    Die großen Zeiten waren vorbei, und Sándor hatte den dringenden Verdacht, dass das nicht nur fürs Romanische Café galt, sondern für ganz Deutschland. Sich da als Musiker hinzustellen und zu glauben, auf der Bühne sei man unangreifbar, ein Gott mit Geige, das war dumm und überheblich und, schlimmer als das: Es war lebensgefährlich.
    Â»Jenitzky will seinen eigenen Laden unter Gas setzen«, nein, das konnte er natürlich nicht sagen. Sie würden ihm nicht glauben, Jenitzky würde davon erfahren, die Aktion abblasen, Jenitzkys Männer würden ihn umlegen und Jenitzky etwas anderes versuchen. Manchmal kotzten diese Zwangsläufigkeit, die Gradlinigkeit des Kriminellen ihn an. Wer plaudert, stirbt, wer nicht plaudert, macht sich mitschuldig: Er hatte sich das Leben anders vorgestellt, aber so lief es nun mal. Also beschränkte Sándor sich auf eine düstere Miene und dunkle Andeutungen, doch damit forderte er nur Bellas Spott heraus, und er spürte, wie auch bei den Männern der

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