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Black Bottom

Black Bottom

Titel: Black Bottom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Keune
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Ehrenkodex; sie verachten die Gäste, aber gleichzeitig sind sie ihnen heilig. Nein, der Femina-Mörder gehört zu einer ganz neuen Kategorie des Verbrechens … oder eigentlich sollte ich sagen: zu einer ganz neuen Art Mensch, die mir nicht nur in der Kriminalistik große Sorgen macht. Die Entwurzelten. Die Heimatlosen. In der Politik gibt es sie auch. Chamäleons, die du auf eine Rednertribüne stellen kannst und die sofort die Massen faszinieren, weil sie instinktiv fühlen, was die Masse in der nächsten Sekunde hören will. Und weil sie keine eigenen Ansichten oder Prinzipien haben, sagen sie, was die Masse von ihnen hören will. Stell sie in einen Demonstrationszug, und sie werden ihn anführen, ohne dass der Zug merkt, wer ihn führt. Gib ihnen Gesetzesmacht, und sie werden sofort mit der Arbeit anfangen und alles ganz anders machen. DIESE Art Mensch gibt es unter den Kriminellen auch, und sie ist neu, neu und beunruhigend.«
    Gennat beugte sich vor, und seine ohnehin nicht ganz frische Krawatte schlappte über den Kuchenteller.
    Â»Die neuen Kriminellen haben keinen Heimathafen«, raunte er Sándor zu, der die Ohren spitzte, »sie haben keinen Plan, keine Lieblingsmethode. Sie können improvisieren, und wenn sich ein Vorteil ergibt, sind sie da. Sie verlassen ihr Revier oder haben keins, und wenn ihnen Hamburg zu heiß geworden ist, machen sie in Köln weiter oder in Berlin.«
    Sándor nickte.
    Â»Der Verbrecher als Unternehmer … Also könnte es Jenitzky gewesen sein? Haben Sie mich deshalb rufen lassen?«
    Â»Sie … rufen?« Gennat staunte, schüttelte den Kopf. »Ich dachte, Sie wären von sich aus hier, um sich Rat zu holen, wie ich in der Sache weiter vorgehen würde. Wer hat Ihnen denn meine angebliche Bitte überbracht?«
    Sándor begriff schlagartig und sprang auf. Belfort hatte ihn mit seiner Meldung, der Alte wolle ihn sehen, von einem ganz anderen Ort fernhalten wollen: dem Verhörkeller, wo sie sich in eben-dieser Minute den inhaftierten Jenitzky vornehmen würden – eine Prozedur, bei der sie ihn ganz offenbar nicht dabeihaben wollten …
    Gennat war ein dicker Mann im klassischen Sinne, ein ruhender Buddha, der an Bewegung – an persönlicher Bewegung seines Körpers – kein gesteigertes Interesse hatte und sich stattdessen auf die Bewegungen seines überaus athletischen Geistes konzentrierte. Jenitzky war ganz anders. Auch er wäre auf der Straße als dick aufgefallen, und es waren Zeiten, in denen ein dicker Mensch gelegentlich den Zorn der Passanten auf sich zog, weil dick zu sein eine Anmaßung war in Jahren des Hungers. Aber Jenitzkys Korpulenz war nur die gute Polsterung um einen Körper aus Stahl oder aus Hartgummi, und sein Wille stand dem Umfang seines Leibes kaum nach. Belfort musste schnell feststellen, dass sein Gefangener sich von seinem lautstarken Anpöbeln, seinen Drohungen oder Beleidigungen nicht einschüchtern ließ. Selbst in diesen Disziplinen war er viel zu gut. Jenitzky ging auf keine Provokation ein, erwiderte nichts zu seiner Verteidigung und machte sich nicht die Mühe, auch nur die frechsten Beschuldigungen zu widerlegen. Und als Belfort – oder zunächst der dicke Schmitz, aber dann zunehmend er selbst – den verbalen Angriffen körperliche Tätlichkeiten folgen ließ, schienen ihn die ebenfalls nicht sonderlich zu interessieren. Natürlich war auch seine Haut aus Haut gemacht und sein Fleisch aus Fleisch; unter Belforts mit sadistischem Schwung ausgeführten Schlägen platzten Augenbrauen auf, dünnere Hautpartien über den Wangenknochen wurden rot und blau, und Jenitzkys Lippe hatte einen Riss und blutete.
    Jenitzky schien weit weg zu sein während dieser Behandlung; er hatte sich in eine innere Festung zurückgezogen tief drin in diesem großen Schutzschild von Körper, und das brachte Belfort erst recht zur Weißglut und ließ ihn seine Anstrengungen verdoppeln. Er wollte ums Verrecken ein Geständnis von diesem Mann. Er wollte, dass der Sauhund zugab, es gewesen zu sein – ganz egal, ob er es nun tatsächlich gewesen war oder nicht. Er wollte Jenitzkys unbeugsamen Willen brechen, um jeden Preis. Verbissen und fluchend arbeitete er an diesem Ziel, und die Zeit verging so langsam, wie Zeit nur unter extremen Schmerzen vergeht, unter brutaler Gewalt.
    Gegen 16 Uhr sah Jenitzky – sein Gesicht eine

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