Black Bottom
einzige malträtierte Verwüstung, und ganz sicher konnte er die vier Kirchturmschläge von der Marienkirche nicht hören, die nur schwach hier herunterdrangen in die schlecht gelüfteten, immer kühlen Verhörräume â kurz auf. Er mochte alle Türen der Wahrnehmung hinter sich zugeschlossen haben, um den Schmerz und die Quälerei nicht durchzulassen bis in das innerste Selbst â aber etwas an Belforts Verhalten musste ihm gesagt haben, dass eine Wendung eingetreten war. Dass er nicht mehr nur ein Geständnis erzwingen wollte, sondern dass er ihn notfalls töten würde. Töten, um Jenitzky wenigstens die Möglichkeit zu nehmen, nach diesem Verhör weiter zu behaupten, er habe nichts zu tun mit der ganzen Angelegenheit, er habe ganz eigene, ganz andere Ziele verfolgt.
Töten, Totschlagen, war auch für einen geschulten, trainierten Polizisten wie Belfort keine Selbstverständlichkeit, die er mit wachem Bewusstsein kaltblütig hätte durchführen können. Er selbst war â weiterprügelnd, reiÃend, rempelnd â in einen Zustand ge-fallen, der dem von Jenitzky gar nicht unähnlich war, eine Abkapselung, eine geistige Verschlossenheit, die so hermetisch war, dass man ihm selbst einen derben Schlag verpassen musste, ehe er bemerkte, dass eine ganze Gruppe von Menschen sich in den Verhörraum gedrängt hatte; sein Kollege Lehmann â kreidebleich vor Wut oder Scham â allen voran; gefolgt von den Rechtsanwälten, die schon neulich nachts seine Razzia so empfindlich gestört hatten, und einer jungen Frau, die er erst nicht einordnen konnte und schlieÃlich doch als die neue Sängerin aus der Kapelle von Julian Fuhs, Bella, erkannte. Was wollte dieses Niggerjazzflitt-chen hier unten im Verhörraum? Bella schrie gellend und beruhigte sich erst, als drei Schutzpolizisten den übel zugerichteten Jenitzky hinauf in das Büro des Vizepolizeipräsidenten Bernhard Weià gebracht und provisorisch verarztet hatten.
Belfort spürte den Griff seines Kollegen Lehmann am Oberarm, als der ihn schweigend aus dem Keller nach oben führte, und es war kein kollegialer Griff, sondern einer, der sich bei einer Festnahme sicher auch nicht anders anfühlte.
RHAPSODY IN BLUE
Bernhard Weià war wie Gennat ein Kripomann durch und durch, ein Mann, der sich aus der polizeilichen Praxis an die Spitze der gesamten Berliner Polizei gearbeitet hatte und für seine Vision einer modernen, der Wissenschaft verpflichteten Kriminalpolizei in seinem Haus keine unrechtmäÃigen Methoden duldete oder zumindest keine MaÃnahmen wie die, deren Spuren er nun ausgiebig auf Jenitzkys Gesicht studieren konnte. Gleich nach dem Krieg war Weià zur Kriminalpolizei gestoÃen, und in einem Dutzend Dienstjahren hatte er die Polizeiarbeit gründlich ausgelotet â ihre Chancen, aber auch ihr Versagen. Trotz seiner Herkunft aus dem jüdischen GroÃbürgertum war Weià nicht zimperlich, und Sándor hatte ihn als harten Realisten kennen- und schätzen gelernt. Ãber die polizeiliche Arbeit machte Weià sich keine Illusionen â sie hatten es mitunter mit harten Kerlen zu tun, und wenn man die nicht seinerseits hart anfasste, dann tanzten sie einem auf der Nase herum. Von erzwungenen Geständnissen, von Toten in der Untersuchungshaft allerdings hielt Bernhard Weià nichts; aus menschlichen Gründen nicht â und aus kriminaltaktischen Gründen erst recht nicht.
Deshalb war seine Wut über die Vorfälle im Verhörkeller keine gespielte als Reaktion auf die Anwesenheit der beiden prominenten Anwälte in seinem Büro; er weinte keine Krokodilstränen, sondern er war wirklich scheiÃwütend â auf Belfort, einen Neuling, den er noch nicht kannte und der mit seinem Verhalten die ganzen Ermittlungen diskreditierte und wertlos machte.
Also hatte er die ganze Bagage in sein Büro geordert, um sich anzuhören, was da genau vorgefallen war â und um, auch angesichts der Wirkungskraft der Anwälte, die Sache gar nicht erst hinter verschlossenen Türen abzuhandeln, sondern am besten gleich mit offenen Karten zu spielen, um Schaden vom ohnehin nicht guten Ruf der Kriminalpolizei abzuwenden.
Schaden genommen hatte allerdings in erster Linie Jenitzky, der trotz der Verarztung noch heftige Schmerzen haben musste. Doch der Mann, der eben Belforts Folterkeller entronnen war, war die Selbstbeherrschung in
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