Black Box
hatte. Noch zu Lebzeiten hatte er es aufgegeben, seine Texte an Verlage zu schicken, denn er war es leid gewesen, immer nur Absagen zu erhalten. Die postumen Storys jedoch schienen seiner Tochter weitaus lebendiger zu sein als die früheren Arbeiten, und die Geschichten über Geister und andere übernatürliche Dinge fand sie besonders fesselnd. Im Laufe der nächsten Wochen suchte sie also die besten Erzählungen heraus und schickte sie an einige Verlage. Die meisten von ihnen antworteten, es gäbe keinen Markt für Kurzgeschichtenbände von unbekannten Autoren. Doch dem Lektor eines Kleinverlags gefielen sie schließlich so gut, dass er sich zu einer Publikation entschloss. Er sagte, ihr Vater hätte ein feines Gespür für das Übernatürliche.
»Das trifft es ziemlich gut«, erwiderte Elena.
Das alles hat mir ein Freund aus der Verlagsbranche erzählt. Er ist allerdings so vergesslich, dass ich nicht genau sagen kann, wo und wann das Buch letztlich erschienen ist. Ich wünschte, ich wüsste mehr darüber! Als jemand, der von okkulten Dingen fasziniert ist, würde ich gerne ein Exemplar haben.
Leider jedoch sind Titel und Autor dieses seltsamen Buches nur Eingeweihten bekannt.
BLACK BOX
Best New Horror
Einen Monat vor seinem Abgabetermin riss Eddie Carroll einen braunen Umschlag auf, und die Zeitschrift The True North Literary Review rutschte ihm in die Hände. Carroll bekam oft Zeitschriften mit der Post; allerdings hatten die meisten davon Namen wie Cemetery Dance und waren auf Horror spezialisiert. Außerdem schickten ihm viele Leute ihre Bücher. Sein Haus in Brookline war voll von Büchern mit Horrorgeschichten – sie stapelten sich auf dem Sofa in seinem Arbeitszimmer, sie stapelten sich neben der Kaffeemaschine, sie stapelten sich überall.
Niemand hatte die Zeit, sie alle zu lesen, obwohl er einmal – als er mit Anfang dreißig Herausgeber von America’s Best New Horror geworden war – einen aufrichtigen Versuch unternommen hatte. Carroll hatte sechzehn Bände von Best New Horror veröffentlicht und arbeitete inzwischen über ein Drittel seines Lebens an dieser Reihe. Alles in allem waren das Tausende von Stunden, die er mit Lesen, Korrigieren und dem Verfassen von Briefen verbracht hatte, Tausende von Stunden, die unwiederbringlich verloren waren.
Insbesondere die Zeitschriften hatte er hassen gelernt. Viele davon verwendeten billigste Druckerschwärze, er verabscheute es, wenn diese auf seine Finger abfärbte, und ihr strenger Geruch war ihm zuwider.
Die meisten Geschichten las er nicht mehr zu Ende – er brachte es einfach nicht über sich. Bei dem Gedanken, noch eine Geschichte über Vampire zu lesen, die mit anderen Vampiren vögelten, wurde ihm übel. Er kämpfte sich mühsam durch die ganzen Lovecraft-Epigonen, spürte jedoch, dass bei der ersten Anspielung auf die Alten Götter etwas in ihm taub wurde, in etwa so, wie eine Hand oder ein Fuß einschläft, wenn der Blutkreislauf unterbrochen ist. Er befürchtete, dass es seine Seele war, die da allmählich abstumpfte.
An irgendeinem Punkt nach seiner Scheidung waren seine Pflichten als Herausgeber von Best New Horror zu einer ermüdenden, freudlosen Angelegenheit geworden. Manchmal dachte er fast hoffnungsfroh darüber nach, damit aufzuhören, wenn auch nie allzu lange. Die zwölftausend Dollar, die er im Jahr damit verdiente, bildeten den Grundstein seines Einkommens, das sich noch aus der Herausgabe anderer Anthologien, Vortragsverpflichtungen und Unterrichtsstunden zusammensetzte. Ohne diese zwölf dicken Scheine wäre sein persönliches Schreckensszenario unabwendbar – er müsste sich einen richtigen Job suchen.
Von The True North Literary Review hatte er noch nie etwas gehört. Es handelte sich um eine Literaturzeitschrift, deren grober Papierumschlag eine Tuschezeichnung sich im Wind wiegender Kiefern zeigte. Ein Stempel auf der Rückseite wies darauf hin, dass die Zeitschrift von der Kathadin University im Norden des Bundesstaates New York stammte. Als er sie aufschlug, fielen zwei zusammengeheftete Blätter heraus: ein Brief des Herausgebers, ein Englischprofessor namens Harold Noonan.
Letzten Winter war Noonan von einem Teilzeitangestellten der Universität – einer Putzkraft – angesprochen worden, einem gewissen Peter Kilrue. Dieser hatte gehört, dass Noonan zum Herausgeber von The True North ernannt worden war und auch unverlangte Manuskripte entgegennahm. Er bat ihn, einen Blick auf eine Kurzgeschichte zu
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