Black Cats 01. Was kostet der Tod
sehen, wie ihr Gehirn hinter diesen grünen Augen brodelte, wie es Mauern und Schranken errichtete, um die Gefühle von den Fakten abzuschotten.
Bei Dean war es meist sein Zorn, den er fortdrängte, um sich auf seine Arbeit konzentrieren zu können. Wenn er ihm dann freien Lauf ließ, geschah das oft in Form eines kurzen, unbarmherzigen Ausbruchs, der im Fitnessstudio am Punchingball Schlag für Schlag aus ihm herausplatzte oder sich in einer schonungslosen Trainingseinheit entlud, nach der er überhaupt nichts mehr empfand.
Sheriff Rhodes hingegen sperrte ihre Trauer weg. Sie verbannte sie in eine Kiste und nagelte diese sorgfältig zu. Irgendwann würde sie die Kiste öffnen, zu Hause, wenn sie allein war, und vielleicht ein paar Tränen vergießen. Jedenfalls hoffte er, dass sie das tat – Himmel, wenn man an einem solchen Kummer zu lange festhielt, konnte man daran ersticken!
Er wusste das aus Erfahrung. Sie beide empfanden unterschiedlich. Reagierten unterschiedlich. Aber bedienten sich derselben simplen Methode, um mit ihren Gefühlen umzugehen.
Schließlich räusperte sie sich und reckte das Kinn. Diese eine Locke hing ihr weiterhin im Nacken, ansonsten war sie wieder voll da. »Ich nehme an, dass es noch mehr Bilder gibt?«
Deans Hände schlossen sich um die Mappe mit den anderen Bildern von Lisas letzten Minuten. Er behielt sie auf dem Schoß; den Rest wollte er ihr nicht zeigen. Er wusste nicht, ob ihr Geist genug Raum für all die Kisten hatte, um die Bilder zu ertragen.
»Ja, das stimmt«, antwortete Wyatt.
»Sie sehen nicht aus wie normale Fotografien.« Sie legte die Fingerspitzen aneinander und fragte in sachlichem Tonfall: »Screenshots?«
Dean nickte. »Ja.«
»Also gibt es ein Video.«
Ein sorgenvoller Schauer kroch ihm den Rücken hinauf, und seine Finger spannten sich an. Langsam nickte er. »Eine digitale Filmdatei. Wir sind vor Kurzem darauf gestoßen. Ursprünglich wurde sie jedoch im April letzten Jahres ins Internet hochgeladen, einen Monat nachdem Lisa verschwunden ist.«
Bei den Worten »ins Internet hochgeladen« erbleichte sie. »Zeigen Sie sie mir.«
Dean hatte keine Ahnung, was Wyatt sagen würde, als er den Mund öffnete, und es war ihm auch egal. Schnell antwortete er: »Ausgeschlossen.«
»Ich muss das Video sehen, vor allem, wenn Sie wollen, dass ich Ihnen helfe.«
»Natürlich wollen wir das«, brummte Wyatt, »und selbstverständlich können Sie das Video sehen. Wenn Sie absolut sicher sind, dass Sie das wollen.«
»Nein, ich will es nicht«, gab sie zu. Sie schluckte schwer, und ihre schmale Kehle mühte sich ab, als hätte sie sich eine Handvoll Sand in den Mund gesteckt. »Aber ich muss.«
Dean schüttelte nochmals den Kopf. »Nein.«
Sie beugte sich vor über ihren Schreibtisch. Wogen von Anspannung und Hitze gingen von ihr aus, als würden die geistigen Schranken, die ihren Zorn und ihren Kummer über Lisas Ermordung zurückhielten, brechen, wenn man sie zu sehr unter Druck setzte. »Wo liegt das Problem? Haben Sie Angst, ein Kleinstadt-Sheriff, noch dazu eine Frau, kann damit nicht umgehen? Sie sollten wissen, dass ich … «
Er unterbrach sie mit einer Handbewegung. »Darum geht es nicht. Um offen zu sein, Sheriff Rhodes: Niemand, der Lisa Zimmerman tatsächlich kannte, sollte dieses Video sehen, wenn es sich irgendwie vermeiden lässt.«
Sie starrten sich einen Moment lang in die Augen, und er sah, wie ihre Empörung nachließ. Er konnte ihre Reaktion verstehen. Wahrscheinlich hatte sie jeden Tag mit Sexismus zu kämpfen. Bei der Polizei war das leider gang und gäbe.
Sie schwieg, einigermaßen besänftigt. Ihre verkrampften Hände entspannten sich, und sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. Langsam nickte sie, gab nach, gestand ihr vorschnelles Urteil ein.
Ruhig und nüchtern, verständig und intelligent. Und unglaublich attraktiv. Wo zum Teufel war die Frau sein ganzes Leben lang gewesen?
Dean verdrängte diesen völlig verrückten Gedanken und murmelte: »Wir haben weitere Screenshots, falls Sie noch mehr Beweise brauchen.«
»Agent Taggert, bitte hören Sie mir zu!«
Ihr ernster Ton sagte ihm, dass sie nicht einfach nur zeigen wollte, dass sie mit den großen Jungs mithalten konnte – falls er das auch nur einen Moment geglaubt hatte. Sie schenkte ihm ein leises, reumütiges Lächeln. Zum ersten Mal, seit sie ihn im Foyer begrüßt hatte, lag Wärme in ihrer Miene. Dean ahnte, wie sehr sich diese fest verschlossenen Kisten mit Empfindungen
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