Black CATS - Parrish, L: Black CATS
Hilferuf erhalten hatte.
Ehrlich gesagt wusste er bis zum heutigen Tag nicht, warum er ausgerechnet Brandon und sonst niemanden aus dem Team eingeweiht hatte. Vielleicht war er einfach verzweifelt gewesen, war in Panik ausgebrochen, obwohl das eigentlich nicht seine Art war. Brandons Nummer hatte er gewählt, weil der junge Computerexperte der Einzige war, der Lilys Handy orten und sie mithilfe der wenigen Hinweise, über die sie verfügten, aufspüren konnte – wenn es überhaupt gelang. Möglicherweise hatte Wyatt aber auch seiner eigenen Wahrnehmung nicht ganz getraut, hatte sich gefragt, ob er sich Lilys Anruf vielleicht doch nur eingebildet hatte.
Verdammt, womöglich hatte er ja sogar irgendwie – mit seinem sechsten Sinn, auf den er sich immer verlassen hatte – gespürt, dass er sich auf eine Sache einließ, die ihn Kopf und Kragen kosten konnte. Ihn und Brandon. Er selbst hatte zwar beim FBI nicht mehr allzu viel zu verlieren, aber bei den anderen Teammitgliedern sah das anders aus. Kyle Mulrooney stand kurz vor der Pensionierung. Jackie Stockes hatte einen Ehemann und Kinder – und Lilys Tod hatte sie ganz besonders verstört. Warum hätte er Hoffnungen in ihr wecken sollen, wenn das Ganze eventuell nur ein übler Streich gewesen war? Alec Lambert war noch nicht lange dabei gewesen und hatte sich noch bewähren müssen; Dean Taggert schien gerade zu einem halbwegs normalen Privatleben mit einer neuen Freundin gefunden zu haben. Einer Freundin, die Polizistin war und unbequeme Fragen hätte stellen können.
Brandon hingegen war jung und Single. Hochgradig intelligent. Ein Querdenker. Er hatte Lily außerdem am nächsten gestanden, hatte das Büro mit ihr geteilt; die beiden verband eine herzliche Freundschaft.
Hätte Wyatt sich im Nachhinein anders entschieden? Hätte er das ganze Team hinzugezogen? Dann hätte nie zur Debatte gestanden, ob Lily Fletcher ihr Leben wiederaufnehmen oder ganz aufhören würde zu existieren.
Er wusste es nicht. Und jetzt war es zu spät, sich darüber den Kopf zu zerbrechen.
Es gab andere Dinge, über die er nachdenken musste.
»Hilf mir, Wyatt.«
Ihre Stimme klang schwach, doch er hörte sie deutlich. Genau wie in der allerersten Nacht hier im Haus, als sie von Albträumen gequält wurde. Das Strandhaus war nicht besonders groß, im Obergeschoss befanden sich lediglich zwei Schlafzimmer und darüber der Dachboden. Das Rauschen der Brandung und der böige Märzwind hatten ihre gepeinigten Schreie nicht übertönen können. Genau wie jetzt.
Er lief nicht hin, um nach ihr zu sehen. Körperlich ging es Lily gut, sie kämpfte nicht gegen irgendwelche realen Gegner – nur gegen die in ihrem Kopf.
Am Anfang hatte er oft versucht, sie zu trösten, war zu ihr gegangen und hatte ihr versichert, dass sie nichts zu befürchten hatte. Von der Türschwelle aus hatte er beruhigende Worte geflüstert, ohne jedoch einzutreten. Sie sollte nicht über die plötzliche Gegenwart eines Mannes erschrecken, der im Dunkeln die Hände nach ihr ausstreckte. So dumm war er nicht. Schließlich hatte sie ihm genug über die Qualen erzählt, die sie erlitten hatte.
Oft konnte seine Stimme sie besänftigen; dann hörte sie auf, sich zu winden und zu stöhnen. Meistens blieb er noch eine Weile dort stehen, beobachtete, wie sie wieder in tieferen Schlaf sank. Ihre zarten Gesichtszüge standen in krassem Gegensatz zu den Narben auf ihrer Kopfhaut, die von einem hellblonden Flaum überzogen war.
Aber es hatte nicht immer geholfen. So manches Mal hatte er ihr vergeblich zugeflüstert, dass er sie gefunden hatte und sie sich erholen würde. Dann hatte er gewusst, dass ihre Träume nicht von der Nacht handelten, als er sie gerettet hatte.
Diese Albträume waren noch schlimmer. Zwar redete sie nie darüber, aber er ahnte, welche Schauerlichkeiten sie im Schlaf erdulden musste.
Vielleicht sah sie das Gesicht ihres Neffen vor sich, der voller Entsetzen aus dem Fenster des Lieferwagens blickte, an dessen Steuer das kranke Schwein saß, das ihn entführt hatte. Schließlich war Lily die Letzte gewesen, die ihn noch lebend gesehen hatte. Sie hatte sogar im Prozess gegen Jesse Boyd ausgesagt, den Sexualstraftäter, der für den Mord an dem Kind schuldig gesprochen worden war.
Möglicherweise träumte sie aber auch von den Ereignissen wenige Wochen später, als sie das Haus ihrer Zwillingsschwester betreten und diese in der Badewanne vorgefunden hatte, blutüberströmt, mit aufgeschnittenen
Weitere Kostenlose Bücher