Black Cherry Blues (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
teilte sie dann der ersten Klasse zu. Dann empfahl er mir die verwitwete Schwester seiner Haushälterin, die gleich neben dem Pfarrhaus wohnte, als Kindermädchen. Sie hatte einen rötlichen Teint, stammte von finnischen Vorfahren ab, war etwas schwer von Begriff, erwies sich aber als außerordentlich gutmütig. Sie sagte, daß sie nachmittags und abends fast immer auf Alafair aufpassen könne und sie, falls ich die Stadt verlassen müßte, auch über Nacht mit zu sich nach Hause nehmen werde.
Ich besorgte für Alafair eine neue Frühstücksdose, Malkreide, Bleistifte und ein Heft, in dem sie herumkritzeln konnte, und an unserem dritten Tag in der Stadt brachte ich sie frühmorgens die baumgesäumte Straße entlang zum Schulhof und sah zu, wie sie sich unter den anderen Kindern einreihte, während die Lehrerin die ganze Meute zum Fahneneid geleitete. Als ich auf der Vordertreppe meines neuen Heims eine Tasse Kaffee trank und auf die reißende braune Strömung des Flusses blickte, die die Betonpfeiler einer Eisenbahnbrücke umspülte, kam die Sonne über dem Hellgate Canyon hervor und warf ihr Licht über das Tal, wodurch die Blätter der Ahornbäume glänzten, als wären sie mit Wachs überzogen. Dann kaute ich auf einem Streichholz herum und betrachtete ausgiebig meinen Handrücken. Schließlich konnte ich es nicht länger hinausschieben, und mit der gleichen Entschlossenheit, mit der man seine Einwilligung zu einer risikoreichen Operation gibt oder eine beschwerliche Reise antritt, die einem viel mehr Kraft abverlangt, als man hat, stieg ich in meinen Pick-up und machte mich auf den Weg nach Polson, einer kleinen Stadt am Flathead Lake und Heimat von Sally Dio.
Das Jocko Valley war typisches Weideland und Anbaugebiet für Viehfutter, in dem große sonnenbeschienene und schattige Flächen einander abwechselten; der Fluß, der neben dem Highway verlief, hatte die Farbe von Tee, sein Bett war mit Kieselsteinen bedeckt, und an beiden Ufern wuchsen Weiden und Pappeln. In der blauen Ferne erhoben sich schneebedeckt und gewaltig die Mission Mountains gen Himmel. Die abgelegenen Städtchen waren voller Indianer, die einteilige Arbeitsanzüge, hochkrempige Strohhüte und abgelatschte
Cowboystiefel trugen, Pick-ups fuhren und durch mich hindurchsahen, als ob ich aus Rauchglas wäre, als ich anhielt, um zu tanken. Vor der Bergkette ruhten riedgrasumwachsene Seen, und hoch oben in den Felsen waren tief herabstürzende Wasserfälle zu erkennen, die im Licht der Sonne wie eingefroren wirkten und wie riesige weiße Zähne aussahen.
Ich kam an einem Camp für staatliche Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und an einer alten Jesuitenmission vorbei und folgte dem Highway über eine kiefernbewachsene Anhöhe. Plötzlich sah ich den Flathead Lake im Sonnenlicht vor mir liegen, das sich auf seiner Fläche spiegelte, und er wirkte so blau und groß wie der Pazifische Ozean. An den sanft ansteigenden Hängen über dem Ufer wuchsen junge Kiefern, und jenseits des östlichen Ufers sah ich Kirschplantagen. Mitten im See erhoben sich die grauen Felsklippen mehrerer Inseln, auf denen zwischen Steinen Bäume wurzelten; ein rotes Segelboot, vor dessen Bug Gischt aufschäumte, vollzog gerade ein Wendemanöver zwischen ihnen.
In Polson, am südlichen Ende des Sees, hielt ich kurz an und fragte einen Tankwart nach dem Weg zu Sal Dios Haus. Er nahm seine Zigarre aus dem Mund, sah mich an, warf dann einen Blick auf mein Nummernschild und nickte zur Straße hin.
»Sind ungefähr zwei Meilen«, sagte er.
»Auf welcher Straßenseite?«
»Jemand da oben wird’s Ihnen sagen.«
Ich fuhr zwischen der Kirschplantage und dem See entlang, kam dann an einer kleinen blauen Bucht, einem Restaurant, das über dem Wasser errichtet worden war, und einem von Kiefern umgebenen Sandstrand vorbei, bevor ich einen Briefkasten mit dem Namen Dio und den Wegweiser zu einer Privatstraße sah. Ich bog ab und folgte dem abschüssigen Feldweg bis zu einem anderthalbgeschossigen Redwoodhaus, das auf einem dreieckigen Grundstück stand und über den See hinausragte. Aber wenige Meter vor mir tauchte ein elektronisch gesichertes Eisentor auf, das fest verschlossen war, und zwischen Tor und See stand noch ein kleineres Redwoodhaus, dessen Veranda auf Stützpfählen über den Rand einer Klippe verlängert war. Offensichtlich waren das kleine und das große Haus vom selben Architekten entworfen worden.
Ich hielt vor dem Tor an, stellte den Motor ab und stieg aus. Ich sah ein
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