Black Coffee
Tür aufgehen hörte, und als sie sich umdrehte, sah sie gerade noch Richard aus dem Zimmer gehen. »Und Richard hast du auch in Verlegenheit gebracht«, setzte sie ihren Vortrag an Barbara fort. »Was mich im übrigen gar nicht wundert.«
»Ach, Tante Caroline«, versetzte Barbara, »du bist ja auch eine Viktorianerin. Als du zur Welt kamst, hatte die alte Königin noch gute zwanzig Jahre vor sich. Du bist typisch für deine Generation und ich für die meine.«
»Und ich brauche wohl nicht zu sagen, was ich vorziehe«, wollte ihre Tante loslegen, aber Barbara unterbrach sie lachend: »Ich finde euch Viktorianer einfach köstlich. Man muß sich das vorstellen – kleinen Kindern zu erzählen, sie wären unterm Stachelbeerstrauch gefunden worden! Hinreißend.«
Sie kramte ein Feuerzeug aus ihrer Handtasche und zündete sich eine Zigarette an. Schon wollte sie weiterreden, aber Miss Amory schnitt ihr mit einer Handbewegung das Wort ab. »Hör jetzt mal auf mit diesen Albernheiten, Barbara. Ich mache mir ernsthafte Sorgen um unser Kindchen hier, und du hast nichts Besseres im Sinn, als dich über mich lustig zu machen.«
Plötzlich sank Lucia weinend in sich zusammen und rief, während sie sich unter Schluchzen die Tränen aus den Augen zu wischen versuchte: »Ihr seid alle so gut zu mir. Nie war jemand gut zu mir, bis ich hierherkam, bis ich Richard heiratete. Es ist so schön, bei euch zu sein. Ich kann nichts dafür, aber...«
»Ist ja gut, ist ja gut«, versuchte Miss Amory sie zu beruhigen. Sie ging hin und tätschelte ihr den Rücken.
»Ist ja schon gut, Kindchen. Ich kann dich verstehen – ein Leben lang im Ausland – wie unpassend für ein junges Mädchen. Meine Vorstellung von Jugend ist das nicht. Und dann noch diese merkwürdigen Vorstellungen von Erziehung, die sie auf dem Kontinent haben. Ist gut, ist ja schon gut.«
Lucia stand auf und blickte unsicher um sich. Willig ließ sie sich von Miss Amory wieder zum Sofa führen und nahm in der einen Ecke Platz, während Miss Amory sie von allen Seiten mit Kissen umhüllte und sich dann neben sie setzte. »Ist doch klar, daß du völlig durcheinander bist, Liebes. Aber du mußt versuchen, Italien zu vergessen. Allerdings sage ich ja immer, daß die italienischen Seen im Frühling ganz reizend sind. Genau richtig für den Urlaub, aber leben möchte man dort natürlich nicht. Nun weine nicht, Liebes, weine nicht.«
»Ich finde, sie braucht einfach einen kräftigen Schluck zu trinken«, sagte Barbara. Sie setzte sich auf den Couchtisch und sah Lucia kritisch, aber nicht ohne Anteilnahme ins Gesicht. »Ein fürchterliches Haus ist das hier, Tante Caroline. Jahre hinter der Zeit zurück. Das Wort Cocktail hat man hier noch nie gehört. Nur Sherry oder Whisky vor dem Essen und Brandy danach. Richard kann nicht einmal einen ordentlichen Manhattan mixen; und Edward Raynor um einen Whisky-Sour zu bitten, kann man gleich vergessen. Aber was Lucia wirklich in Null Komma nichts wieder auf die Beine bringen würde, das wäre jetzt ein Satans Whisker.«
Miss Amory sah schockiert zu ihrer Nichte. »Und was, bitte sehr«, erkundigte sie sich schaudernd, »ist ein ›Satans Whisky‹?«
»Ganz einfach zu machen, wenn man die Zutaten hat«, antwortete Barbara. »Brandy und Creme de Menthe zu gleichen Teilen, aber die Prise Paprika nicht vergessen.
Die ist sehr wichtig. Schmeckt einfach toll und bringt dich garantiert in Schwung.«
»Du weißt, daß ich von diesen alkoholischen Belebungsmitteln nichts halte, Barbara«, erklärte Miss Amory, indem sie sich schüttelte. »Wie mein lieber Vater immer sagte -«
»Oh, was er gesagt hat, weiß ich«, versetzte Barbara.
»Und dabei ist nun wirklich jedem in der Familie bekannt, daß der gute Großonkel Algernon ein weithin berühmter Schluckspecht war.«
Zuerst machte Miss Amory ein Gesicht, als ob sie gleich in die Luft gehen wollte, doch dann begann ein leichtes Lächeln um ihre Lippen zu spielen, und sie sagte nur: »Bei den Herren ist das etwas anderes.«
Damit war sie bei Barbara allerdings an der falschen Adresse. »Es ist bei den Herren überhaupt nichts anderes«, sagte sie. »Zumindest wüßte ich nicht, warum man es ihnen als etwas anderes nachsehen sollte. Man hat es ihnen früher nur so durchgehen lassen.« Sie kramte einen kleinen Spiegel, eine Puderquaste und einen Lippenstift aus ihrer Handtasche. »Na, wie sehe ich denn aus?« fragte sie niemand anderen als sich selbst. »Ach du liebes bißchen!«
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