Black Coffee
Barbara den Kasten zum Tisch und stellte ihn darauf.
»Also«, meinte sie, »wenn wir die Sachen schon mal unten haben, können wir sie uns doch wenigstens ansehen.« Sie klappte den Deckel hoch. »Ach du liebe Güte, ist das ein Sammelsurium«, rief sie, während sie diverse Fläschchen herausnahm. »Jodtinktur, Wundbalsam – hier steht nur ›Tinct. Card. Co.‹ drauf – und Rizinusöl.« Sie zog eine Schnute. »Ah, und jetzt kommen wir zu den stärkeren Sachen«, sagte sie und entnahm dem Kasten ein paar braune Glasröhrchen.
»Atropin, Morphium, Strychnin«, las sie von den Aufklebern ab. »Sieh dich vor, Tante Caroline. Wenn du meinen Zorn weckst, rühre ich dir Strychnin in den Kaffee, und du mußt unter furchtbaren Qualen sterben.« Sie drohte ihrer Tante scherzhaft mit dem Finger, aber diese winkte nur mit einem kurzen Schnauben ab.
»Jedenfalls ist da nichts drin, womit wir Lucia wieder auf die Beine bringen könnten«, meinte sie lachend, während sie die Fläschchen und Röhrchen wieder in den Kasten tat. Sie hielt gerade das Röhrchen mit den Morphiumtabletten in der Hand, als die Dielentür aufging und Treadwell erschien, um Edward Raynor, Dr. Carelli und Sir Claud Amory hereinzulassen. Zuerst kam Edward Raynor, Sir Clauds Sekretär, ein nicht weiter bemerkenswerter junger Mann von Ende Zwanzig. Er ging zu Barbara und warf einen Blick in den Kasten. »Nanu, Mr. Raynor, interessieren Sie sich für Gifte?« fragte sie, während sie mit dem Einräumen fortfuhr.
Auch Dr. Carelli kam an den Tisch. Er war Mitte Vierzig, hatte einen auffallend dunklen Teint und trug einen tadellos sitzenden Gesellschaftsanzug. Er trat sehr weltgewandt auf, und wenn er sprach, hörte man nur einen ganz leichten italienischen Akzent. »Was haben wir denn da, meine liebe Miss Amory?« erkundigte er sich.
Sir Claud war noch an der Tür stehengeblieben, um mit Treadwell zu sprechen. »Sie haben meine Anweisungen genau verstanden?« fragte er. Die Antwort des Butlers schien ihn zu befriedigen. »Ganz genau, Sir Claud.«
Damit ging Treadwell wieder hinaus, und Sir Claud kam zu seinem Gast.
»Sie werden mich hoffentlich entschuldigen, Dr. Carelli, wenn ich gleich weiter in mein Arbeitszimmer gehe«, sagte er. »Ich habe ein paar wichtige Briefe zu schreiben, die noch heute abend zur Post müssen.
Raynor, kommen Sie mit.« Der Sekretär folgte Sir Claud durch die Verbindungstür ins Arbeitszimmer. Im selben Moment, als diese Tür hinter ihnen zuging, ließ Barbara das Röhrchen fallen, das sie in der Hand gehalten hatte.
4
Dr. Carelli war mit ein paar raschen Schritten bei Barbara und hob das Röhrchen auf. Bevor er es ihr jedoch mit einer höflichen Verbeugung zurückgab, warf er einen Blick darauf und rief: »Aber was haben wir denn da? Morphium!« Er nahm eines der anderen Röhrchen vom Tisch. »Und Strychnin! Darf ich fragen, verehrte junge Dame, wie Sie an diese tödlichen Substanzen kommen?« Er nahm sich den weiteren Inhalt des Blechkastens vor.
Barbara betrachtete den zuvorkommenden Italiener mit sichtlicher Abneigung. »Kriegsbeute«, antwortete sie mit einem gezwungenen Lächeln.
Jetzt erhob sich Caroline Amory und näherte sich Dr. Carelli mit besorgter Miene. »Aber das ist doch nicht wirklich Gift, Doktor? Ich meine, damit kann man niemandem schaden, oder?« fragte sie. »Wir haben diesen Kasten schon seit Jahren im Haus. Es sind doch sicher ganz harmlose Sachen?«
»Ich würde sagen«, erwiderte Carelli trocken, »Sie könnten mit dieser kleinen Kollektion etwa ein Dutzend kräftige Männer umbringen. Ich weiß ja nicht, was Sie unter ›schaden‹ verstehen.«
»Großer Gott!« entfuhr es Miss Amory, die rasch wieder zu ihrem Stuhl ging und sich schwer darauf niederließ.
»Das zum Beispiel«, wandte Carelli sich jetzt an die Allgemeinheit, wobei er eines der Röhrchen in die Hand nahm und langsam vom Etikett vorlas: »Strychnin-Hydrochlorid; vier Milligramm. Sieben oder acht von diesen kleinen Tabletten, und Sie würden eines wahrhaft unangenehmen Todes sterben. Ein ausgesprochen schmerzhafter Abgang von dieser Welt.« Er nahm ein zweites Röhrchen. »Atropin-Sulfat. Also, eine Atropinvergiftung ist manchmal schwer von einer Ptomainvergiftung zu unterscheiden. Auch ein sehr qualvoller Tod.«
Er legte die beiden Röhrchen in den Kasten zurück und nahm ein neues heraus. »Und hier«, fuhr er betont langsam und deutlich fort, »haben wir nun noch Hyoscin-Hydrobromid, null Komma sechs fünf Milligramm.
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