Black Dagger 06 - Dunkles Erwachen
hatten, wenn sie auch kein Geräusch machten.
Du bist in einem Gefängnis ohne Gitterstäbe. Ich mache mir Sorgen um dich.
Phury blinzelte, gefangen in einer eigenartigen Zeitschleife. Jemand hatte genau dieselben Worte zu ihm gesagt … erst letzten Sommer.
Da ging die Tür der Eingangshalle auf, und der Moment war vorbei. Bei dem Geräusch schreckten Phury und John zusammen und sahen dann Zsadist hereinkommen.
Der Bruder wirkte erschöpft. »Ach, hey, Phury. Hallo, John.«
Phury rieb sich den Nacken, um dieses seltsame Déjà-vu abzuschütteln, das er gerade mit John gehabt hatte.
»Z, hey, wo kommst du denn her?«
»Hab ’nen kleinen Ausflug gemacht. Was läuft?«
»Wir wollen ein bisschen an Johns Stellungen arbeiten. «
Z schloss die Tür. »Wie wär’s, wenn ich mitkomme? Oder … vielleicht sollte ich das anders formulieren. Kann ich mitkommen?«
Phury blieb der Mund offen stehen. John schien genauso verblüfft, aber wenigstens besaß er den Anstand, mit dem Kopf zu nicken.
Um endlich wieder einen klaren Gedanken zu fassen, schüttelte Phury den Kopf. »Aber sicher, mein Bruder. Komm mit. Du bist immer … willkommen.«
»Danke. Vielen Dank.« Zsadist kam über den hellen Mosaikboden zu ihnen.
Dann machten sie sich zu dritt auf den Weg in den unterirdischen Tunnel.
Unterwegs warf Phury John einen Seitenblick zu und dachte sich, dass manchmal eine Haaresbreite reichte, um einen tödlichen Autounfall zu vermeiden.
Manchmal hing das ganze Leben an einem Millimeter. Oder einer Nanosekunde. Oder einem Klopfen an der Tür.
So etwas konnte einem den Glauben an das Göttliche zurückgeben. Wirklich wahr.
25
Zwei Monate später …
Bella materialisierte sich vor dem Haus der Bruderschaft und blickte an der trüben grauen Fassade hoch. Nie hätte sie erwartet, irgendwann hierher zurückzukehren. Aber das Schicksal hatte offenbar andere Pläne mit ihr.
Sie öffnete die Außentür und trat ein. Dann drückte sie den Knopf der Gegensprechanlage und hielt ihr Gesicht in Richtung der Kamera. Sie fühlte sich wie in einem Traum.
Fritz öffnete die Tür weit und verneigte sich mit einem Lächeln. »Madame! Wie schön, Euch zu sehen.«
»Hallo.« Als er ihr den Mantel abnehmen wollte, schüttelte sie den Kopf. »Ich bleibe nicht lange. Ich bin nur hier, um mit Zsadist zu sprechen. Nur eine Minute.«
»Aber selbstverständlich. Der Herr ist hier drüben. Wollt Ihr mir bitte folgen?« Fritz führte sie durch die
Eingangshalle zu einer Flügeltür, und plauderte dabei unablässig über dies und das, zum Beispiel darüber, was sie alle an Silvester getrieben hatten.
Doch bevor er die Tür zur Bibliothek aufstieß, hielt der Doggen inne. »Ich bitte um Vergebung, Madame, aber Ihr wirkt … Möchtet Ihr Euch selbst ankündigen? Wenn Ihr bereit seid?«
»Ach, Fritz, wie gut du mich kennst. Ich wäre sehr gern einen Augenblick allein.«
Er nickte lächelnd und verschwand.
Jetzt holte Bella tief Luft und lauschte den Stimmen und Schritten im Haus. Manche waren tief und laut genug, um zu den Brüdern zu gehören, und sie sah auf die Uhr. Sieben Uhr abends. Sie machten sich fertig für die Nacht.
Sie überlegte, wie es Phury wohl ging. Und ob Tohr zurückgekommen war. Und was John machte.
Reines Zeitschinden.
Jetzt oder nie, dachte sie, legte die Hand auf den Messinggriff und drehte ihn herum. Die eine Hälfte der Tür gab geräuschlos nach.
Als sie in die Bibliothek trat, stockte ihr der Atem.
Zsadist saß an einem Tisch über ein Stück Papier gebeugt, einen dünnen Bleistift in der schweren Faust. Neben ihm saß Mary, zwischen den beiden lag ein aufgeschlagenes Buch.
»Achte auf die Dehnungen«, sagte Mary und deutete auf das Buch. »Seele. Mehl. Die Laute klingen ähnlich, werden aber nicht gleich geschrieben. Versuch’s noch mal.«
Zsadist legte eine Hand auf seinen kurz geschorenen Kopf. Mit leiser Stimme sagte er etwas, das nicht bis zu ihr hinüber drang. Und dann bewegte sich der Stift auf dem Zettel.
»Sehr gut!« Mary legte ihm eine Hand auf den Oberarm. »Jetzt hast du’s raus.«
Zsadist hob den Kopf und lächelte. Dann schnellte sein Kopf herum zu Bella, und das Lächeln verschwand.
O gütige Jungfrau im Schleier, dachte sie und saugte gierig seinen Anblick in sich auf. Sie liebte ihn noch immer. Ganz tief drinnen wusste sie es …
Moment mal … Was zum … Teufel? Sein Gesicht sah völlig anders aus. Etwas hatte sich verändert. Nicht die Narbe, aber irgendetwas war
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