Black Dagger 09 - Seelenjäger
sagen.«
Gerade wollte sie die Akte zuklappen, als ihr die Nummer in der linken oberen Ecke auffiel. Die zehnstellige Patientennummer war tausende und abertausende von denen entfernt, die Neuzugänge bekamen, und sie suchte das Datum, zu dem die Akte erstmals angelegt worden war: 1971. Beim Durchblättern stieß sie auf zwei Behandlungen in der Notaufnahme: einmal wegen einer Messerwunde, ein anderes Mal wegen einer Überdosis; das war ’71 und ’73 gewesen.
Ach, Quatsch, so was hatte sie doch schon oft gesehen. Nullen und Siebenen konnte man leicht verwechseln, wenn sie schlampig geschrieben wurden. Das Krankenhaus hatte seine Daten erst Ende 2003 digitalisiert, davor war alles von Hand notiert worden. Diese Akte war eindeutig von einem Datenverarbeiter erfasst worden, der sich verlesen hatte: statt ’01 und ’03 hatte derjenige die Vorfälle in die Siebziger zurückdatiert.
Nur … das Geburtsdatum konnte nicht stimmen. Bei diesem hier hätte der Patient vor dreißig Jahren siebenunddreißig sein müssen.
Sie schlug die Akte zu. »Wir müssen darauf pochen, dass die Digitalisierungsfirma präziser arbeitet.«
»Ich weiß. Mir ist es auch aufgefallen. Möchten Sie vielleicht kurz mit ihm allein sein?«
»Das wäre toll.«
An der Tür blieb Faye kurz stehen. »Ich hörte, Sie waren heute ziemlich gut im OP.«
Jane lächelte zaghaft. »Das Team war gut. Ich hab nur meinen Beitrag geleistet.«
Nachdem Faye gegangen war, zog Jane den Vorhang vor
die Glasfront und ging zum Bett. Der Patient wurde künstlich über einen Schlauch beatmet und seine Sauerstoffsättigung war annehmbar. Der Blutdruck war niedrig, aber stabil. Die Herzfrequenz war träge und gab ein merkwürdiges Bild auf dem Monitor ab, aber immerhin hatte er ja auch sechs Kammern, die da schlugen.
Wahnsinn, dieses Herz.
Sie beugte sich über ihn und musterte eingehend seine Gesichtszüge. Von der Abstammung her wahrscheinlich Mitteleuropäer. Gutaussehend – nicht, dass das eine Rolle spielte; zudem wurde die Attraktivität durch die Tätowierungen auf der Schläfe etwas beeinträchtigt. Sie ging noch näher heran, um die Tinte auf seiner Haut zu begutachten. Sie musste zugeben, dass es kunstvoll gemacht war, die komplizierten Muster ähnelten einer Mischung aus chinesischer Schrift und Hieroglyphen. Wahrscheinlich hatten die Symbole einen Bandenbezug, obwohl er nicht wie ein Junge wirkte, der Krieg spielte; er hatte eine grimmigere Ausstrahlung, wie ein Soldat. Vielleicht hatten die Tattoos etwas mit östlicher Kampfkunst zu tun?
Als sie einen Blick auf den Schlauch in seinem Mund warf, bemerkte sie etwas Ungewöhnliches. Mit dem Daumen schob sie die Oberlippe zurück. Seine Eckzähne waren sehr ausgeprägt. Erschreckend scharf.
Kosmetik, ohne Zweifel. Die Leute stellten heutzutage alle möglichen durchgeknallten Sachen mit ihrem Aussehen an, und er hatte sich auch schon das komplette Gesicht markiert.
Sie hob die dünne Decke hoch, die ihn bedeckte. Der Verband auf der Brust war in Ordnung, also arbeitete sie sich systematisch nach unten vor und schob die Decke immer weiter zur Seite. Sie inspizierte den Verband der Stichwunde, dann tastete sie seinen Bauchraum ab. Als sie sanft drückte, um seine inneren Organe zu spüren, betrachtete
sie die Tätowierungen in seinem Schambereich, dann konzentrierte sie sich auf die Narben auf seinem Unterleib.
Er war partiell kastriert worden.
In Anbetracht der unsauberen Narbenbildung war das keine operative Entfernung gewesen, eher schon ein Unfall. Oder zumindest hoffte sie das, denn die einzig andere Erklärung wäre Folter.
Sie betrachtete sein Gesicht, während sie ihn wieder zudeckte. Einem Impuls folgend legte sie ihm eine Hand auf den Unterarm und drückte sanft. »Du hast ein hartes Leben hinter dir, nicht wahr?«
»Ja, aber es hat mir nicht geschadet.«
Jane wirbelte herum. »Verdammt, Manello. Du hast mich erschreckt.«
»Tut mir leid. Ich wollte nur mal nach dem Rechten sehen. « Der Chef ging um das Bett herum auf die andere Seite und ließ den Blick über den Patienten schweifen. »Weißt du, ich glaube nicht, dass er bei einem anderen Chirurgen überlebt hätte.«
»Hast du die Bilder gesehen?«
»Von seinem Herz? Ja. Ich möchte sie den Jungs an der Columbia schicken, mal sehen, was die dazu sagen. Du kannst sie ja dann gleich mal fragen, wenn du da bist.«
Sie kommentierte das nicht weiter. »Seine Blutgruppe ließ sich auch nicht bestimmen.«
»Ehrlich?«
»Wenn wir seine
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