Black Dagger 10 - Todesfluch
auf der Welt gewesen, als das Gebäude unverschlossen gewesen war und jeder die Schatzkammer so einfach betreten konnte wie die Bibliothek. Doch das war vor dem Angriff gewesen.
Der Angriff hatte alles verändert. Unvorstellbar, dass räuberische Angehörige ihrer eigenen Art mit Waffen von der Abgewandten Seite hierhergekommen waren, um das Heiligtum zu plündern. Sie waren durch eine Pforte hereingelangt, die inzwischen versperrt war, und hatten die Schatzkammer gestürmt. Der frühere Primal hatte den Tod gefunden, weil er seine Frauen beschützte, drei Vampire hatte er besiegt, doch danach war er seinen Wunden erlegen.
Er musste wohl ihr Vater gewesen sein.
Nach diesen entsetzlichen Vorkommnissen hatte die Jungfrau der Schrift diese Pforte versperrt, und jeder, der Einlass begehrte, musste fortan ihren privaten Innenhof passieren. Und als Vorsichtsmaßnahme blieb die Schatzkammer immer verschlossen, außer, die Juwelen wurden für
die Eremitage der Jungfrau der Schrift oder für bestimmte Zeremonien benötigt. Nur die Directrix verfügte über einen Schlüssel.
Cormia hörte leise Schritte und wandte den Kopf einem Laubengang zu. Eine vollständig verhüllte Gestalt humpelte über den Weg, ein Bein unter einer schwarzen Robe nachziehend, in den verhüllten Händen einen Stapel Handtücher haltend.
Rasch wandte Cormia sich ab und eilte weiter. Sie wünschte, sowohl zwischen sich und diese Frau als auch zwischen sich und den Primalstempel Abstand zu bringen. Schließlich fand sie sich so weit von beiden entfernt, wie man nur gehen konnte, weit hinten am Spiegelbecken.
Das Wasser darin war klar und vollkommen unbewegt. Es zeigte eine ungetrübte Reflektion des Himmels. Sie wollte ihren Fuß hineintauchen, doch das war verboten –
Da nahm sie ein Geräusch wahr.
Anfangs war sie sich nicht sicher, was sie gehört hatte, und ob überhaupt etwas. Nichts und niemand war in der Nähe, soweit sie sehen konnte, nichts außer dem Grabmal der Söhne und Töchter und dem Wald aus weißen Bäumen, die den Rand des Heiligtums kennzeichneten. Sie wartete. Als das Geräusch sich nicht wiederholte, tat sie es als Einbildung ab und ging weiter.
Obgleich sie sich fürchtete, fühlte sie sich von dem Grabmal angezogen, wo die Kinder, welche die Geburt nicht überlebten, ihre letzte Ruhestätte fanden.
Besorgnis kroch ihre Wirbelsäule empor. Das war der einzige Ort, den sie niemals besuchte, und das galt auch für alle anderen Auserwählten. Jede mied dieses abgelegene quadratische Bauwerk mit der weißen Umzäunung. Trauer umwehte es wie die schwarzen Seidenschleifen, die um die Türgriffe gebunden waren.
Gütige Jungfrau im Schleier, dachte sie, auch ihr eigenes Schicksal würde hier bald bestattet, da selbst unter den Auserwählten eine hohe Kindersterblichkeit herrschte. Ja, Teile ihrer selbst würden hier ruhen, kleine Splitter ihres Wesens hier aufbewahrt werden, bis nur mehr eine Hülse davon übrig blieb. Dass sie ihre Schwangerschaften nicht frei wählen konnte, dass Nein kein Wort oder auch nur Gedanke war, der ihr gestattet war, dass ihre Nachkommen in der gleichen Bestimmung gefangen wären wie sie selbst, all das führte dazu, dass sie sich selbst in diesem verlassenen Grabmal sah, eingeschlossen zwischen den Toten.
Sie zog ihre Robe fester um den Hals zusammen und zitterte, als sie durch das Tor blickte. Früher hatte sie diesen Ort als verstörend empfunden, hatte sich des Gefühls nicht erwehren können, dass die kleinen Geschöpfe einsam waren, obwohl sie sich doch im Schleier befanden und Glück und Frieden gefunden haben sollten.
Nun verursachte ihr diese Stätte regelrechtes Grauen.
Wieder erklang das Geräusch, und sie machte einen Satz rückwärts, wollte schon vor den beklagenswerten Seelen fliehen, die im Inneren wohnten.
Doch nein, das waren nicht die Geister der Kinder. Es war ein Schluchzen. Überhaupt nicht körperlos, sondern sehr greifbar.
Still bog sie um die Ecke.
Layla saß im Gras, die Knie an die Brust gezogen, die Arme um sich geschlungen. Den Kopf hatte sie tief gesenkt, ihre Schultern bebten, ihr Gewand und die Haare waren nass.
»Meine Schwester?«, flüsterte Cormia. »Wie geht es dir?«
Unvermittelt schoss Laylas Kopf empor, und rasch rieb sie sich die Wangen, bis die Spuren von Tränen verschwunden waren. »Geh. Bitte.«
Doch Cormia kniete sich neben sie. »Sprich mit mir. Was ist geschehen?«
»Nichts, was du …«
»Layla, so rede doch mit mir.« Sie wollte ihre
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