Black Dagger 11 - Blutlinien
haben.« Sein Vater verschränkte die Beine neu, die Bügelfalte in seinem Hosenbein war so scharfkantig wie der Rand seines Sherryglases. »Es sollte doch ausreichen, eine Anordnung nur einmal zu erteilen. Das kann doch nicht zu viel – «
»Du wirst es mir nicht selbst sagen, habe ich Recht?«
»… verlangt sein. Ich meine, mal ehrlich, so schwierig kann das doch nicht sein. Die Aufgabe eines Dienstboten ist, zu Diensten zu sein, und ich wiederhole mich wirklich nur sehr ungern.«
Der Fuß seines Vaters wippte in der Luft. Seine Lederslipper waren – wie immer – von Cole Haan: kostspielig, aber so dezent wie ein aristokratisches Flüstern.
Qhuinn betrachtete seine eigenen New-Rock-Stiefel. Die Profilsohle war unter seinen Fußballen fünf Zentimeter, am Absatz sieben Zentimeter dick. Das schwarze Leder reichte bis zu den Waden hinauf, wo es kreuzweise mit Senkeln und drei fetten Chromschnallen verschnürt war.
Damals, als er noch Taschengeld bekam – als man noch hoffte, dass seine Wandlung sein Gebrechen beheben würde –, hatte er monatelang auf diese coolen, beinharten Lederstiefel gespart. Nach der Transition hatte er sie sich dann so bald wie möglich gekauft. Sie waren sein Geschenk an sich selbst dafür, dass er überlebt hatte, weil er genau wusste, dass er von seinen Eltern nichts zu erwarten hatte.
Als Qhuinn sie zum ersten Mal bei Tisch getragen hatte, waren seinem Vater fast die Augen aus dem Spießerkopf gefallen.
»War sonst noch etwas?«, fragte sein Vater, hinter seiner Zeitung verschanzt.
»Nee. Keine Sorge, ich werde mich schon nicht blicken lassen.«
Es war ja nicht das erste Mal, dass er auf offiziellen Empfängen durch Abwesenheit glänzte, wobei – wem wollten sie eigentlich etwas vormachen? Die Glymera kannte sein kleines »Problem« doch sehr genau, und diese stumpfsinnigen Snobs waren wie Elefanten. Sie vergaßen nie.
»Ach, übrigens, dein Cousin Lash hat eine neue Arbeit«, nuschelte sein Vater. »In Havers’ Klinik. Lash überlegt, Arzt zu werden, und macht nach dem Unterricht ein Praktikum.« Die Zeitung wurde umgeklappt und ganz flüchtig kam das Gesicht seines Vaters in Sicht … vor Schreck konnte Qhuinn gerade noch seinen sehnsüchtigen Blick auf die Augen seines Vaters verbergen. »Lashs Vater hat wirklich allen Grund, stolz auf ihn zu sein. Er ist ein würdiger Nachfolger als Familienoberhaupt.«
Qhuinn warf einen Blick auf die linke Hand seines Vaters. Am Zeigefinger prangte ein massiver Goldring mit dem Familienwappen, der bis zum mittleren Knöchel reichte. Alle jungen Männer des Adels bekamen so einen nach ihrer
Transition, und Qhuinns beste Freunde hatten beide einen. Blay trug seinen immer, außer wenn er kämpfte oder wenn sie in der Stadt ausgingen, und selbst John Matthew hatte einen bekommen, wenn er ihn auch nie anzog. Auch die anderen aus ihrer Trainingsklasse, die nach und nach durch den Wandel gingen, tauchten im Anschluss mit einem Siegelring am Finger auf.
Das Familienwappen in zehn Unzen Gold geprägt: fünftausend Dollar.
Den Ring von seinem Vater zu bekommen, nachdem man zum Mann geworden war: unbezahlbar.
Qhuinns Transition war inzwischen fünf Monate her. Vor vier Monaten, drei Wochen, sechs Tagen und zwei Stunden hatte er aufgehört, auf seinen Ring zu warten.
Ungefähr.
Mann, trotz der Reibereien mit seinem Vater hätte er doch nie geglaubt, leer auszugehen. Überraschung! Noch ein Grund mehr, sich wie ein Versager zu fühlen.
Er hörte erneut ein Rascheln mit der Zeitung, dieses Mal ungeduldig, als versuche sein Vater, eine Fliege von seinem Hamburger zu verscheuchen. Obwohl er natürlich niemals einen Hamburger essen würde, weil das viel zu gewöhnlich war.
»Ich werde mich mit diesem Doggen unterhalten müssen«, sagte sein Vater.
Qhuinn schloss die Tür hinter sich, und als er sich umdrehte, stieß er beinahe mit einer Doggen zusammen, die aus der Bibliothek nebenan kam. Das uniformierte Dienstmädchen sprang rückwärts, küsste seine Fingerknöchel und tippte sich dann auf die Adern seitlich an ihrem Hals.
Während sie davonhuschte, dieselbe Beschwörungsformel wie sein Vater vorhin murmelnd, trat Qhuinn vor einen antiken Spiegel, der an der mit Seide bespannten Wand
hing. Trotz der Unebenheiten im Bleiglas und der schwarzen Flecken, an denen die Spiegelschicht abblätterte, war sein Gebrechen nicht zu übersehen.
Seine Mutter hatte graue Augen. Sein Vater hatte graue Augen. Sein Bruder und seine Schwester hatten graue
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