Black Dagger 12 - Vampirträume
gemeldet, um sie zu ersetzen.«
»Ich möchte vorschlagen, dass ich auch die Aufgabe der Geschichtsschreiberin übernehme.«
»Das wäre sehr großzügig von dir. Es würde die anderen für den Primal freistellen.« Eine Zeitlang sprach keine von beiden. »Sollen wir fortfahren?«
Als Cormia nickte und sich auf den Boden kniete, entzündete die Directrix etwas Räucherwerk und vollzog die Zeremonie der Klausur.
Danach erhob Cormia sich und trat an eine ausgesparte Fläche in der Mauer, die sie inzwischen ein Fenster genannt hätte.
Auf der gegenüberliegenden Seite des weißen Geländes des Heiligtums sah sie den Tempel der Schreiberinnen. Er war mit den Privatgemächern der Jungfrau der Schrift verbunden und hatte keine Fenster. Innerhalb seiner weißen
Mauern würde niemand außer ihr selbst sein. Sie und unzählige Rollen Pergament und fässerweise blutrote Tinte und die künftige Geschichte ihres Volkes, die sie nur als Betrachterin aufzuzeichnen hatte, nicht aber als Teilnehmerin.
»Ich kann das nicht tun«, sagte sie.
»Entschuldige, was hast du –«
Sie hörten ein Klopfen am Türrahmen. »Herein«, rief Amalya.
Eine ihrer Schwestern kam herein und verneigte sich tief. »Die Auserwählte Layla hat ihre Bäder zur Vorbereitung auf seine Hoheit, den Primal, beendet.«
»Ah, gut.« Amalya nahm eine der Räucherschalen. »Dann bringen wir sie in seinen Tempel, und im Anschluss werde ich ihn auf diese Seite rufen.«
»Wie du wünschst.« Mit gebeugtem Kopf zog sich die Auserwählte zurück, und Cormia erhaschte ein erwartungsfrohes Lächeln auf ihrem Gesicht.
Wahrscheinlich hoffte sie, als Nächste für einen Ausflug in den Tempel an der Reihe zu sein.
»Würdest du mich entschuldigen?«, bat Cormia. Ihr Herz schlug unregelmäßig, wie ein Instrument, das seinen Takt nicht finden konnte. »Ich werde mich in den Tempel der Schreiberinnen zurückziehen.«
»Aber natürlich.« Unversehens wurde Amalyas Blick durchdringend. »Bist du dir ganz sicher, Schwester?«
»Ja. Und das ist ein herrlicher Tag für uns alle. Ich werde ihn gewissenhaft aufzeichnen.«
»Ich lasse dir deine Mahlzeiten bringen.«
»Ja. Danke.«
»Cormia … ich bin für dich da, solltest du einen Rat brauchen. Auf persönlicher Ebene.«
Cormia verneigte sich und eilte fort, ohne Umwege begab
sie sich in den massiven weißen Tempel, der ab jetzt ihr Zuhause sein würde.
Als sie das schwere Tor hinter sich schloss, wurde sie von einer dichten, pechschwarzen Finsternis umhüllt. Ihrem Willen gehorchend flackerten Kerzen in den vier Ecken des hohen Raums auf, und in ihrem Schein betrachtete sie die sechs weißen Schreibpulte mit ihren auf Gebrauch wartenden weißen Federkielen, ihren blutroten Tintenfässern und ihren Kristallschalen voll sehenden Wassers. Auf dem Fußboden standen Körbe mit Bündeln von Pergament, aufgerollt und mit weißen Bändern verschnürt, bereit, die Chronik ihres Volkes aufzunehmen.
An der gegenüberliegenden Wand standen drei einfache Stockbetten, jedes davon mit einem einzigen blütenreinen Kissen und präzise gefaltetem Laken ausgestattet. Keine weiteren Decken lagen am Fußende der Betten, da die Temperatur zu vollkommen war, um zusätzliche Wärme erforderlich zu machen. Seitlich hing ein Vorhang, der einen Baderaum abtrennte.
Rechter Hand lag eine verzierte Silbertür, die in die Privatbibliothek der Jungfrau der Schrift führte. Die Klausurschreiberinnen waren die Einzigen, in deren Feder Ihre Heiligkeit ihr persönliches Tagebuch diktierte, und wenn sie gerufen wurden, benutzten sie diese Tür, um die ihnen gewährte Audienz wahrzunehmen.
Der Schlitz in der Mitte dieser Pforte diente dazu, sowohl von Klausur- wie auch von Geschichtsschreiberinnen verfasste Pergamente während des Bearbeitungsvorgangs hin und her zu reichen. Die Jungfrau der Schrift las und genehmigte oder überarbeitete jede Aufzeichnung so lange, bis sie ihre Zustimmung fand. War ein Pergament abschließend angenommen, wurde es entweder auf Größe beschnitten und mit den anderen Seiten zusammen zu einem der
Folianten in der Bibliothek gebunden oder gerollt und im heiligen Archiv der Jungfrau der Schrift deponiert.
Cormia ging zu einem der Pulte und setzte sich auf den Hocker davor.
Die Stille und die Abgeschiedenheit waren so aufwühlend wie eine dicht gedrängte Menschenmenge, und sie wusste nicht, wie lange sie dort saß und sich bemühte, ihre Fassung wiederzugewinnen.
Sie war überzeugt gewesen, das tun zu können –
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