Black Dagger 19 - Liebesmond
Kleid einmal ausgefüllt hatte. Dass sie eine kurze Zeit darin gelebt hatte, nicht mehr als für die Momentaufnahme eines Abends in ihrer beider Leben.
Warum konnten seine Erinnerungen sie nicht zurückbringen? Sie fühlten sich so stark an, so machtvoll, dass sie Wellsie auf magische Weise zurückholen und das Kleid wieder hätten ausfüllen lassen sollen.
Doch sie lebte nur in seinem Kopf. Immer bei ihm, doch nie erreichbar.
Das also war der Tod, so wurde ihm bewusst. Er machte alles zur Fiktion.
Und als würde er einen Absatz in einem Buch noch einmal nachlesen, erinnerte er sich an den Tag ihrer Vereinigung. Wie er nervös neben seinen Brüdern gestanden und an seiner Satinrobe mit dem edelsteinbesetzten Gürtel herumgezupft hatte. Sein Vater, Hharm, war nicht erschienen, ihre Aussöhnung an seinem Lebensabend war noch ein Jahrhundert weit in der Zukunft gelegen. Aber Darius war da gewesen. Er hatte alle ein, zwei Sekunden zu ihm rübergeblickt, weil er sich ganz offensichtlich Sorgen machte, Tohr könnte verdammt noch mal in Ohnmacht sinken.
Womit sie dann also zu zweit gewesen waren.
Und dann war Wellsie erschienen …
Tohrs Hand glitt über die Samtfalten. Er schloss die Augen und stellte sich vor, ihr warmer, lebendiger Körper würde dieses Kleid einmal mehr ausfüllen, das enge Oberteil würde sich mit ihrem Atem heben und senken, ihre langen, langen Beine würden den Saum über dem Boden schweben lassen, ihre roten Locken würden sich bis zum schwarzen Spitzenbesatz der Ärmel kringeln.
In seiner Vorstellung war sie real und lag in seinen Armen, blickte unter gesenkten Wimpern zu ihm auf, so wie damals, als sie gemeinsam mit den anderen das Menuett tanzten. Sie waren beide Jungfrauen gewesen in jener Nacht. Er hatte sich angestellt wie ein unbeholfener Tölpel. Sie aber hatte genau gewusst, was zu tun war. Und daran hatte sich eigentlich all die Jahre nichts geändert.
Obwohl er die Sache mit dem Sex, Teufel noch mal, ganz schön schnell ganz schön gut drauf gehabt hatte.
Sie hatten sich wie Yin und Yang ergänzt und waren einander doch gleich gewesen: Er war der Feldwebel bei der Bruderschaft, sie der General zu Hause, und zusammen hatte ihnen die Welt gehört …
Vielleicht war es ja aus diesem Grund geschehen, dachte Tohr. Er hatte zu viel Glück gehabt, genau wie sie, und die Jungfrau der Schrift musste einen Ausgleich schaffen.
Doch jetzt war er hier, so leer wie dieses Gewand, denn was ihn und dieses Kleid ausgefüllt hatte, war fort.
Die Tränen, die aus seinen Augen flossen, waren lautlos, von der Sorte, die heraussickerte und das Kissen durchnässte. Sie rollten ihm über den Nasenrücken und fielen herab wie Regentropfen vom Rand eines Daches.
Sein Daumen strich auf und ab über den Satin, so wie er ihre Lippen gerieben hatte, wenn sie zusammen waren, und er schob das Bein über den Rock.
Aber es war nicht dasselbe. Es war kein Körper darunter, und der Stoff roch nach Zitrone, nicht nach ihrer Haut. Außerdem war er allein in diesem Zimmer, das nicht ihr gemeinsames Zimmer war.
» Verflucht, du fehlst mir«, sagte er mit brüchiger Stimme. » Jede Nacht. Jeden Tag …«
Hinten in der Ecke neben der Aufsatzkommode stand Lassiter und fühlte sich mies, während Tohr dem Kleid diese Worte zuraunte.
Er rieb sich das Gesicht und fragte sich, warum … warum nur musste es bei all den möglichen Wegen, die ihn aus dem Zwischenreich führen hätten können, ausgerechnet dieser sein.
Die Sache ging ihm langsam an die Nieren.
Ihm. Dem Engel, der sich einen Dreck um andere scherte, der den Schadensregulierer hätte spielen sollen oder den Scheidungsanwalt oder irgendetwas, bei dem es zum Job gehörte, andere Leute über den Tisch zu ziehen.
Er hatte einfach nicht das Zeug zum Engel. Dazu bedurfte es gewisser Fertigkeiten, die er nicht besaß und die er nicht vortäuschen konnte.
Damals, als der Schöpfer mit einem Angebot auf ihn zugekommen war, wie er sich reinwaschen könnte, war er so auf die in Aussicht stehende Befreiung fixiert gewesen, dass er über die Einzelheiten des Auftrags gar nicht nachgedacht hatte. Er hatte nichts weiter gehört als » Geh zur Erde, bring diesen Vampir wieder auf Trab, befreie die Shellan«, bla, bla, bla … Und danach stünde es ihm frei, sein Ding zu machen, anstatt in diesem öden Niemandsland festzustecken. Es hatte sich nach einem guten Deal angehört. Und anfangs war es das auch gewesen. Mit einem BigMac im Wald erscheinen, den armen Kerl
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