Black Dagger 20 - Schattentraum
Tohr erzählen?«
Autumn betrachtete die Waffen, die immer noch in den Lederhalftern steckten, und dachte bei sich, dass der Glanz des Metalls dem Leuchten in den Augen ihrer Tochter sehr ähnlich war: Er kündete von Gewalt.
»D u darfst nicht wütend auf ihn sein«, hörte sie sich sagen. »W as zwischen uns war, geschah in gegenseitigem Einvernehmen, und es endete aus … einem triftigen Grund. Er hat nichts Falsches getan.«
Autumn war sich zwar nicht sicher, ob sie selbst von ihren Worten überzeugt war, aber eines stand fest: Sie wollte nicht, dass Xhex mit gezücktem Messer auf Tohr losging.
»H ast du gehört, Tochterherz.« Das war keine Frage, sondern ein Befehl – die ersten Worte aus ihrem Munde, die klangen wie von Mutter zu Kind. »D u wirst dich nicht mit ihm anlegen oder ihn zur Rede stellen.«
»G ib mir einen Grund dafür.«
»D u kennst die Gefühle anderer, richtig?«
»J a.«
»W ann hast du das letzte Mal jemanden getroffen, der sich dazu zwingen konnte, jemand anderen zu lieben? Der seine Gefühle in eine Richtung drängte, obwohl sein Herz bereits vergeben war?«
Xhex fluchte leise. »N och nie. So etwas funktioniert nie – aber man kann sich wenigstens respektvoll ausdrücken.«
»E s ändert nichts, wenn man die Wahrheit in schöne Worte kleidet.« Autumn wandte sich wieder der verschneiten Landschaft und dem Fluss zu, der zum Teil zugefroren war. »U nd ich weiß lieber, woran ich bin, als mir etwas vorzumachen.«
Eine Weile herrschte Schweigen zwischen ihnen. »I st das Grund genug, meine Tochter?«
Wieder ein Fluch. Dann sagte Xhex: »E s gefällt mir nicht … doch das ist es wohl.«
30
Der Himmel wusste, wie lange Tohr in dieser Parkgarage saß. Es mussten mindestens eine Nacht und ein Tag gewesen sein und dann vielleicht noch eine Nacht oder zwei? Er hatte keine Ahnung, und eigentlich war es ihm egal.
Ein bisschen fühlte es sich so an, als wäre er wieder im Bauch seiner Mutter. Nur dass sein Hintern allmählich taub wurde und seine Nase bei der Kälte lief.
Während seine geballte Wut nach und nach verpuffte und sich der Gefühlstumult legte, schlossen seine Gedanken sich zu einer kleinen Reisegruppe zusammen, die durch die Abschnitte seines Lebens zog und in den unterschiedlichen Landschaften umherwanderte, wobei sie ab und an umkehrte, um sich einzelne Gipfel und Täler noch einmal anzusehen.
Es war ein verdammt langer Trip. Und am Ende war er müde, obwohl er sich seit vielen Stunden nicht vom Fleck gerührt hatte.
Kaum überraschend waren die beiden Ereignisse, bei denen er am längsten verweilte, Wellsies Triebigkeit … und die von Autumn. Diese Vorkommnisse und ihre Folgen waren die Berge, die er am häufigsten erklomm, und die zwei Szenen blitzten abwechselnd vor seinem inneren Auge auf, wie ein Blick in die Ferne, bis sie miteinander verschmolzen und ein Konglomerat von Handlungen und Reaktionen bildeten, seinen und ihren.
Nach all den Überlegungen gelangte er zu drei Entschlüssen, zu denen er immer wieder zurückkehrte.
Er würde sich bei Autumn entschuldigen müssen, das war klar. Verdammt, das war das zweite Mal gewesen, dass er sie so runtergeputzt hatte, nach diesem ersten Mal vor fast einem Jahr am Pool: In beiden Fällen war sein Temperament mit ihm durchgegangen, weil er unter enormem Druck gestanden hatte. Aber das war natürlich keine Entschuldigung.
Zweitens würde er diesen Engel finden müssen, um sich auch bei ihm zu entschuldigen.
Und drittens … nun, die dritte Sache war eigentlich die wichtigste, etwas, das er noch vor allem anderen erledigen musste.
Er würde ein letztes Mal mit Wellsie in Kontakt treten.
Tief holte er Luft, schloss die Augen und zwang seinen Körper, sich zu entspannen. Dann, mehr aus Verzweiflung denn aus Hoffnung, befahl er seinem müden Geist, alle Gedanken und Bilder fahren zu lassen, sich von allem zu lösen, was ihn die ganze Zeit über wach gehalten hatte, die Reue und die Fehler und den Schmerz zu vergessen …
Irgendwann wurde seinem Befehl Folge geleistet: Das rastlose Wandern seines Geistes verlangsamte sich und kam schließlich zu einem Ende.
Dann impfte er sein Unterbewusstsein mit einem einzigen Ziel, ließ sich in den Schlaf sinken und wartete in diesem Ruhezustand, bis …
Wellsie wirkte mittlerweile selbst grau in grau, inmitten dieser öden Landschaft aus Nebel, kaltem Wind und Felsen. Sie war inzwischen so weit in die Ferne gerückt, dass er aus seinem Blickwinkel eine der bröckelnden
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