Black Dagger 20 - Schattentraum
ohne ihre Kapuze und diese grässliche Robe bei Tisch erschienen: In einem Kleid, einem kornblumenblauen Kleid, das ihr zu groß war und dennoch bezaubernd aussah, und ihr Haar hatte sich offen über ihre Schultern ergossen wie ein blonder Wasserfall.
Die beiden hatten eine Verbundenheit ausgestrahlt, die ein Paar nur erreichte, wenn es sich stundenlang um den Verstand gevögelt hatte.
Wieder hatte Lassiter die Koffer gepackt. Hatte in seinem Zimmer gewartet. War stundenlang umhergewandert und hatte darauf gewartet, dass ihn der Schöpfer rief.
Als die Sonne wieder untergegangen war, hatte er es auf verwaltungstechnische Verzögerungen geschoben. Doch wie sie dann erneut aufging, waren ihm die ersten Zweifel gekommen.
Schließlich hatte er resigniert.
Jetzt war er in heller Panik …
Er saß auf seinem Hintern, starrte auf das Fantasiegebilde einer Toten und stellte sich die gleiche Frage, mit der ihm Tohr ständig in den Ohren lag.
Was wollte der Schöpfer noch von ihm?
»W as ist los?«
Besagter Tohr stand vor ihm. Offensichtlich kam er aus der Tür unter der Freitreppe: Er trug schwarze Laufshorts und ein Muscleshirt und war ziemlich durchgeschwitzt.
Abgesehen vom Schweiß sah er blendend aus. Aber so waren diese Vampire eben, wenn sie anständig aßen, fickten und nicht verletzt waren.
Doch sein vitaler Ausdruck schwand, als sich ihre Blicke trafen. Was darauf schließen ließ, dass er unter der Oberfläche die gleichen immerwährenden Sorgen im Kopf herumwälzte.
Tohr setzte sich zu ihm und rubbelte sich das Gesicht mit dem Handtuch ab. »S puck’s schon aus.«
»H ast du in letzter Zeit von ihr geträumt?« Es gab keinen Grund, ihren Namen zu nennen. Zwischen ihnen gab es nur eine Frau von Bedeutung.
»D as letzte Mal vor einer Woche.«
»W ie sah sie aus?« Als ob er das nicht wüsste. Er schaute sie verdammt noch mal gerade an.
»S ie war noch weiter weg.« Tohr nahm das Handtuch von seinem Hals und spannte es zwischen seinen Fäusten. »B ist du dir sicher, dass sie nicht vielleicht einfach in den Schleier eingeht?«
»M achte sie einen glücklichen Eindruck auf dich?«
»N ein.«
»D a hast du die Antwort.«
»I ch tue, was ich kann.«
Lassiter sah ihn an und nickte. »I ch weiß. Das weiß ich doch.«
»D ann machst du dir also auch Sorgen.«
Es war unnötig, darauf zu antworten.
Schweigend saßen sie da, Hüfte an Hüfte, und ihre Arme baumelten von den Knien, während sie auf die sprichwörtliche Wand starrten, die ihnen jeglichen Horizont verbaute.
»K ann ich offen sein?«, fragte der Bruder.
»T u dir keinen Zwang an.«
»I ch habe entsetzliche Angst. Ich weiß einfach nicht, was ich noch machen soll.« Er rieb sich erneut mit dem Handtuch übers Gesicht. »I ch kann kaum mehr schlafen und weiß nicht, ob ich mich davor fürchte, was ich sehen könnte, oder davor, was ich nicht sehen könnte. Ich weiß nicht, wie sie das noch aushält.«
Gar nicht, so lautete die traurige Antwort.
»I ch rede mit ihr«, murmelte Tohr. »W enn Autumn schläft, sitze ich im Bett und starre ins Dunkle. Ich sage ihr …«
Als Tohr ins Stocken geriet, hätte Lassiter fast geschrien – aber nicht, weil er Tohr für einen Jammerlappen hielt, sondern weil es einfach so unheimlich wehtat, diese gequälte Stimme zu hören.
Scheiße, irgendwann im letzten Jahr musste ihm tatsächlich ein Gewissen oder etwas in der Art gewachsen sein.
»I ch sage ihr, dass ich sie immer noch liebe, dass ich sie immer lieben werde, aber dass ich getan habe, was ich konnte, um … naja, nicht die Lücke zu füllen, die sie hinterlassen hat, denn das kann niemand. Aber dass ich zumindest versuche, mich dem Leben zuzuwenden.«
Als der Bruder weiter mit leiser, trauriger Stimme sprach, überkam Lassiter auf einmal der schreckliche Verdacht, dass er Tohr in die falsche Richtung geschickt haben könnte, dass er … Scheiße, keine Ahnung, es irgendwie vermasselt hatte, eine falsche Entscheidung getroffen hatte, diesen armen Tropf auf eine falsche Fährte gesetzt hatte.
Er ging noch einmal alles durch, was er über die Situation wusste, klopfte seine Entscheidungen ab, Schritt für Schritt.
Er konnte keine Fehler entdecken. Sie hatten beide ihr Bestes gegeben.
Und das war vielleicht der einzige Trost für ihn – ha, ha, wirklich zum Brüllen komisch: Der Gedanke, dass er diesem feinen Kerl geschadet haben könnte, selbst versehentlich, war tatsächlich viel schlimmer als sein persönliches Fegefeuer.
Er hätte sich
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