Black Jack: Bei Anruf Mord!
zum Hörer. „Debra, ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich nicht … Ach so. Nun gut, stellen Sie ihn durch.“ Sie legte die Hand auf die Sprechmuschel. „Ich muss das Gespräch annehmen. Es ist der Bürgermeister. Es dauert nur einen Moment.“
„Soll ich hinausgehen?“ fragte Kelly, die sich schon halb erhoben hatte.
Cecily schüttelte verneinend den Kopf und nahm die Hand weg. „Herr Bürgermeister. Was für eine angenehme Überraschung.“
Ohne auf die Unterhaltung zu achten, blickte Kelly sich in dem weiträumigen, geschmackvoll eingerichteten Büro um, das ganz seiner Besitzerin entsprach. In der Mitte des Raumes stand ein Schreibtisch aus Rosenholz, und vor einem großen Fenster, das auf die Allee hinausging, bildeten Sessel und antike Tischchen eine anheimelnde, lockere Sitzgruppe. An den Wänden hingen teure Reproduktionen großer Meister, die sich harmonisch dem dunkel glänzenden Holz und den Stuckdecken anpassten.
Kellys Blick wanderte zu Cecily zurück, die jetzt über etwas lachte, was der Bürgermeister gesagt hatte, und gleichzeitig mit den Augen rollte.
Sehr diplomatisch, dachte Kelly mit einem nachsichtigen Lächeln. Was für eine außergewöhnliche Frau. Sie war aus dem Nichts gekommen, hatte für alles kämpfen müssen und ihr Ziel durch schiere Ausdauer und harte Arbeit erreicht. Von Ehrgeiz getrieben, war sie die Erste in ihrer Familie, die das College beendete und einen Bachelor of Arts in Wirtschaftswissenschaften an der Pennsylvania State University sowie einen Abschluss in Finanzwissenschaften in Wharton gemacht hatte. Zwei Wochen nachdem sie die angesehene Wirtschaftsakademie verlassen hatte, bekam Cecily eine Stelle bei einer renommierten Investment-Bank, deren Eigentümer, ein Philanthrop namens H. B. Norton, sie unter seine Fittiche genommen und ihr sein gesamtes Wissen vermittelt hatte.
Dank ihres Mentors bekam Cecily 1985 als erste Frau einen Sitz im Aufsichtsrat des Norton Wohltätigkeits-Fonds, der Stiftung, die H. B.s Vater vier Generationen zuvor ins Leben gerufen hatte. Es dauerte nicht lange, bis Cecilys Intelligenz, Gerechtigkeitssinn und herausragende Arbeitsmoral sie von den anderen Aufsichtsratsmitgliedern unterschied. Dennoch war es für alle, sie eingeschlossen, eine Überraschung, als H. B. sich als Aufsichtsrat und Präsident der Stiftung zwölf Jahre später zurückzog und Cecily zu seiner Nachfolgerin bestimmte. Sie selbst hatte Kelly vom Aufschrei des Protests erzählt, der von einigen Aufsichtsratsmitgliedern gekommen war, von denen viele mit H. B. verwandt waren. Einer von ihnen, ein Neffe, hatte sogar behauptet, eine Frau als Aufsichtsrätin würde die Stiftung untergraben. Bei dieser Bemerkung hatte H. B. gelacht und ihm geraten, endlich erwachsen zu werden.
Schließlich beendete Cecily das Gespräch. „Tut mir Leid“, sagte sie, während sie den Hörer auflegte. „Jetzt werden wir nicht mehr gestört.“ Sie stützte die Ellbogen auf die glänzende Arbeitsfläche und legte die Fingerspitzen gegeneinander. „Sie haben sich bestimmt gefragt, warum ich Sie zu einer so unchristlichen Stunde zu mir gebeten habe.“
„Offen gestanden macht mir die Heimlichkeit unseres Treffens mehr zu schaffen als die Uhrzeit“, antwortete Kelly. „Ich habe vor Victoria nicht gern Geheimnisse.“
Cecilys Blick war direkt, aber auch ein wenig prüfend. „Ich bedauere, wenn ich Sie in eine unangenehme Situation gebracht haben sollte, Kelly. Ich wollte Victoria nur nicht noch mehr beunruhigen, als sie es ohnehin schon ist.“
„Was könnte sie noch mehr beunruhigen als das Verschwinden ihres Mannes?“
„Eins zu null für Sie.“ Sie blickte Kelly direkt in die Augen. „Ich will nicht lange um den heißen Brei reden. Ich bin der Ansicht, wir sollten die Suche nach Jonathan der Polizei von Miami überlassen.“
Das war es also. Cecily wollte, dass sie sich zurückzog. Obwohl sie überrascht war, mit welcher Überzeugung sie sprach, ließ Kelly sich nichts anmerken. Sie hatte Victoria ein Versprechen gegeben, und nichts, weder Bitten noch Schmeicheleien, konnte sie davon abbringen. „Darf ich fragen, warum Sie dieser Ansicht sind?“ Kellys Stimme blieb ruhig und ausgeglichen.
„Ich wollte Victoria vergangene Nacht nicht beunruhigen, aber ich will vollkommen offen mit Ihnen sein. Sie sind eine Vollblut-Journalistin, Kelly. Egal, wie diskret Sie zu Werke gehen: Wenn Sie sich auf die Suche nach Jonathan begeben, wird es jemand herausfinden. Und sobald das
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