Black Jack: Bei Anruf Mord!
von Ihrem eigenen Revier zur
Persona non grata
erklärt worden sind? Ich meine mich zu erinnern, dass ein Beamter, mit dem ich gesprochen habe, Sie als Pestbeule bezeichnet hat.“
Na toll. Fantastisch. Wie konnte sie unter diesen Umständen auf seine Unterstützung rechnen? „Es geht nicht um mich“, antwortete sie so liebenswürdig wie möglich. „Sondern um einen verschwunden Mann.“
„Es geht auch um einen nicht abgeschlossenen Fall, und das bedeutet, ich kann nicht darüber reden.“
„Könnten Sie nicht wenigstens …“
„Spreche ich Chinesisch? Ich kann nichts weiter zu dem Fall sagen. Ich habe Ihnen sowieso schon zu viel erzählt dafür, dass Sie gar nicht zur Familie gehören.“
Sie musste sich sehr zusammennehmen, um ihn nicht anzufauchen. „Ich versuche nur, einer Freundin zu helfen, Detective. Sie könnten mir meine Arbeit ungeheuer erleichtern, wenn Sie …“
„Nein.“ Genauso brüsk wie schon früher an diesem Tag legte er den Hörer auf.
Sie starrte auf ihr Handy. So viel also zum Thema Verbindlichkeit.
Kelly fädelte sich wieder in den Verkehr auf dem Highway ein, während sie überlegte, welche anderen Möglichkeiten ihr blieben. Viele waren es nicht. Eigentlich gar keine.
Bis auf eine.
Sie schüttelte den Kopf. Unmöglich. Total verrückt. Aber der Gedanke kehrte immer wieder zurück, nahm Gestalt an, gewann an Überzeugungskraft. Und wenn es auch verrückt war? Wann hätte sie das jemals aufgehalten?
Sie wusste, was sie zu tun hatte.
Zum letzten Mal hatte Kelly mit Nick McBride in ihrem Krankenzimmer gesprochen. Aber im Gegensatz zu den anderen Besuchern hatte er ihr keine Blumen für eine schnelle Genesung mitgebracht, sondern die Hölle heiß gemacht wegen dem, was in Chinatown schief gegangen war.
Sie hatte seinen Zorn voll und ganz verdient. Als sie ihm Wochen zuvor von den Erpressungsversuchen erzählt hatte, war sein Hinweis, sich aus der Sache herauszuhalten, sehr freundlich gewesen. Die Polizei kümmere sich bereits darum, hatte er ihr erklärt.
Weil sie und Nick befreundet waren, hatte Kelly die Finger von der Sache gelassen. Bis zu jener schicksalhaften Nacht, als Randy Chen in Dr. Hos Praxis aufgetaucht war.
Vier Tage später stand Nick in ihrem Krankenzimmer. Er war nicht mehr der Nick McBride, den sie kannte. Jedesmal, wenn sie etwas zu ihrer Verteidigung sagen wollte, schnitt er ihr das Wort ab.
„Du bist genauso schlimm wie diese Sensationsreporter, die sich Journalisten nennen“, hatte er sie beschimpft. „Bloß weil du bei einer großen Zeitung arbeitest und den Pulitzerpreis bekommen hast, bist du kein bisschen besser als sie.“ Und dann sprach er aus, was sie am meisten verletzte. „Ich weiß nicht, warum ich dir jemals vertraut habe.“
Und jetzt stand sie vor dem Trainingscenter in der Walnut Street und überlegte, ob sie ihn um Hilfe bitten sollte. War sie verrückt geworden? Oder machte es ihr einfach nur Spaß, gedemütigt zu werden? Nichts von beidem, beschloss sie, während sie ihren Mut zusammennahm. Sie glaubte an Vorahnungen, und diese war zu stark, um sie zu ignorieren.
Ein Jahr zuvor war Nicks Vater Patrick, der Sicherheitschef im Chenonceau, auf dem Parkplatz des Casinos getötet worden – Opfer eines Raubüberfalls, der außer Kontrolle geraten war. Nick hatte keinen Hehl daraus gemacht, dass er mit den polizeilichen Ermittlungen alles andere als zufrieden war. Und es war auch kein Geheimnis, dass er und Syd Webber sich hassten, seitdem sie sich das erste Mal gesehen hatten. Vordergründig betrachtet war die Möglichkeit, dass zwischen Patricks Tod und Jonathans Verschwinden ein Zusammenhang bestand, eher gering. Die beiden Männer hatten nichts gemeinsam außer ihrer Arbeit im Chenonceau. Trotzdem war Kelly der Gedanke gekommen, dass es möglicherweise eine Verbindung gab. Falls Nick derselben Meinung sein sollte, dann war er vielleicht neugierig genug, um ihr zu helfen.
Sie musste es versuchen. Vielleicht war er gerade beim Training. Sie öffnete die Tür und trat ein.
Das Haus war eine alte Boxkampfarena, die ein Geschäftsmann vor der Zerstörung gerettet hatte, indem er das Anwesen gekauft und in ein Trainingszentrum für viel versprechende junge Boxer umgebaut hatte. Zu anderen Tageszeiten wimmelte es hier von Teenagern und Lehrern, manchmal waren sogar ein oder zwei Talentsucher da. Aber an diesem Werktag um die Mittagszeit war die Halle so gut wie leer.
Kellys Blick wanderte durch den riesigen Raum, in dessen Mitte der
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