Black Jesus
sein, aber ich wette mit dir um den letzten Dollar, dass er dickere Eier hat als du.«
»Woher willst du das denn wissen, du schwule Sau? Hast wohl gespannt, als ich am Pissbecken stand?«
In diesem Moment steht der größere der beiden Männer auf, streckt sich, geht in die Hocke und stellt seine Bierdose auf der Steintreppe ab. Als er sich wieder umdreht, schlägt er mit seiner Faust voll zu und trifft den Drückeberger mitten in die Fresse.
Blut tropft auf sein T-Shirt. Er schlägt zurück. Und schon raufen und prügeln sie sich auf dem staubigen Boden. Der eine stößt dem anderen einen Finger ins Auge. Sie fluchen. Sie stöhnen. Nichts Ungewöhnliches an diesem Kampf. Es ist immer das alte Lied, wenn’s um Blut und Staub geht.
Die Dame am Empfang schaut sie prüfend an und kaut weiter auf ihrem zuckerfreien Kaugummi. Dann drückt sie ihnen die Besucherliste in die Hand, auf der sie sich eintragen müssen, und sagt ihnen, wo sie Bea Two-Feathers finden können: Zimmer 11, zweiter Stock.
Gloria klopft an die Tür. Die Reaktion im Zimmer besteht aus einem einzigen Wort, das stark wie »Scheiße« klingt. Die Besucher hören Bewegungen, leichte Schritte, das Geräusch eines Sprays. Kurz darauf öffnet Bea die Tür und steht da im Nachthemd, die langen weißen Zöpfe auf ihrer Brust, ein entwaffnender Ausdruck in ihrem Gesicht, als habe sie fast schon damit gerechnet, dass diese Stromer bei ihr anklopfen.
»Bea?«
»Und du musst die Ballerina sein, von der mir Joe Boy schon erzählt hat.«
»Gloria«, sagt Gloria, doch der Schwindel, der sich hinter dem Namen und ihrem gesamten Leben versteckt, wird ihr mit jedem Tag unangenehmer.
»Und Black Jesus, vermute ich.«
»Zu Ihren Diensten«, sagt der Soldat, wie immer völlig high, aber auch seltsam animiert von dem Fußmarsch, den er gerade heil überstanden hat.
»Kommt doch rein«, sagt Bea. Und während sie ihr schiefes Lächeln aufsetzen und an ihr vorbei ins Zimmer treten, schaut Bea schnell noch einmal auf den leeren Flur, erst links, dann rechts, um sicherzugehen, dass sich dort keine bösen Spione verstecken. Die Luft ist rein, also geht sie langsam in ihre kleine Welt zurück und schließt die Tür.
»Wo sollen wir uns hinsetzen, Bea?«, fragt Gloria höflich. Etwas im Blick der alten Frau gibt ihr das Gefühl, sich in der Gegenwart eines ungewöhnlichen Wesens zu befinden – da ist jemand, der sich auskennt in der Kunst des Schalkes und des grenzenlosen Übermuts, in der Magie der entlegenen Träume, auch in der Magie der Einsamkeit.
»Sitzt, wo ihr wollt, meine Lieben«, sagt Bea mit der leicht rauchigen Stimme eines Filmstars aus den Fünfzigern. »Ich selbst sitze immer gerne am Fenster. Man weiß nie, was man da draußen zu sehen bekommt.«
Gloria lächelt und hilft Lionel auf das schmale Bett an der Wand – die eine Hand auf seinem Arm, die andere in seinem Rücken. Alles leicht und locker. Als er sitzt und seine Hände auf den Schoß legt, setzt sich Gloria neben ihn und sagt: »Tut mir leid, dass diese Leute Sie nicht rauslassen wollen. Ich kenne das Gefühl, gefangen zu sein. Das schlimmste Gefühl auf der Welt.«
»Oh, Joe Boy muss die Sache mit meinem peinlichen Hausarrest wohl schon ausgeplaudert haben. Ihr müsst mich nicht bedauern. Ich befürchte, ich hab’s mir selbst eingebrockt.«
»Wie?«
»Greif mal unter die Matratze, dann zeig ich’s dir.«
»Wo?«
»Genau zwischen deinen Beinen.«
Gloria tut, wie ihr befohlen.
»Tiefer«, sagt Bea, und schnell fühlt das Mädchen etwas Metallisches und zieht das Zigaretten-Etui aus dem Versteck.
»Rauchen? Das hat Ihnen den Ärger eingebracht?«
»Das kannst du laut sagen – Riesenärger.«
»Joe meinte, es seien Glücksspiele gewesen.«
»Rauchen, Spielen, Trinken – ein halbes Dutzend von dem und ein halbes Dutzend vom anderen. Ich mache, was ich will. Ich bin niemandem Rechenschaft schuldig – zumindest in meinem Kopf nicht. Aber dieser Doktor Mengele da unten kommt damit nicht klar. Dieser irre Perversling.«
»Ich dachte, sein Name sei Steve«, sagt ein irritierter Lionel.
»Ist es auch«, sagt Bea. »Doktor Mengele war ein böser Nazi, der fürchterliche Experimente an lebenden Menschen durchführte. Manchmal bring ich sie einfach durcheinander. Gloria, hättest du was dagegen?«, sagt sie und macht mit ihrem Kinn eine unmissverständliche Bewegung.
Gloria nimmt eine Zigarette aus dem Etui und reicht sie Bea, und Bea beugt sich zu ihren weißen Schuhen hinunter,
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