Black Mandel
das zu der Zeit modern war, als man seine Möbel noch bei Hinumit statt bei Ikea kaufte. Die Zimmergröße betrug vielleicht fünfzehn Quadratmeter ohne die Nasszelle. Es fühlte sich an, als wäre man bei Bekannten behelfsmäßig in einem Gästezimmer untergebracht, aus dem schnell noch das Gerümpel geräumt worden war. Der Mandel hängte seine Fliegerjacke über den Stuhl, schmiss seine Tasche auf den Schreibtisch und legte sich auf das echte Bett. Nach wenigen Sekunden war er eingeschlafen. Ich war hellwach und hörte dem Regen zu, wie er immer stärker wurde, während ich versuchte, das Ausklappbett aus seiner Verankerung zu lösen.
3: BEICHTE
Bevor es jetzt gleich losgeht mit dem ganzen Malheur, bei dem am Ende anderthalb Leute tot und etliche kreuzunglücklich sind, möchte ich quasi als Vorgruppe eine Geschichte von früher erzählen. Und obwohl es meine Geschichte ist, steht sie auch stellvertretend für die Geschichte vom Mandel. Der Mandel ist ja bekanntlich der hartnäckigste autobiografische Schweiger, deshalb gebe ich an seiner Stelle einen Einblick in das Tagesgeschäft eines jungen Katholiken. Und wenn ich jetzt kurz diese Geschichte erzähle, dann geschieht das selbstverständlich im allgemeinen Interesse und Kontext des vorliegenden Falls, nicht weil ich mir hier etwas von der Seele schreiben will oder auch nur die geringste Art von Nostalgie verspüre. Im Gegenteil. Aber besser meine Geschichte als gar keine. Weil, würden wir den Mandel nach seiner fragen, würden wir keine bekommen. Andererseits, es ist ihm auf eine gewisse Weise auch nachzusehen, sein Diskretionswahn. Seine Schwierigkeiten mit dem Vater und das Drama um die Mutter, da spart man sich aus reiner Höflichkeit schon die Frage nach der Kindheit. Und wenn dann alles wie bei den Mandels noch so klammheimlich und beschämt unter den gesellschaftlichen Teppich gekehrt wird, dann bist du schon als Kind auf dem besten Weg, auch ein Unter-den-Teppich-Kehrer zu werden, bevor du dich überhaupt frei entscheiden kannst.
Gegen die Gravitas der mandelschen Familienchronik ist meine Geschichte geradezu ein Ausbund an Heiterkeit. Dennoch muss ich sie erzählen, um dem Leser klarzumachen, mit welcher theologischen Vorbelastung wir in den folgenden Fall gegangen sind. Wenn man ihn überhaupt Fall nennen kann. Denn dass ausgerechnet uns das passiert ist, was passiert ist, vor allem dem Mandel, ist auch das Resultat einer Kindheit im Katholizismus, da bin ich mir mittlerweile sicher. Das Ergebnis davon, wie man in der Vergangenheit mit Leuten wie dem Mandel und mir umgesprungen ist. In religiöser Hinsicht, aber auch in menschlicher, weil nichts anderes ist ja die Religion als eine Negierung des Menschlichen, weil zu kompliziert und zu fickrig. Das Göttliche dafür so schön regelhaft und nachlesbar wie die Hausordnung. Das Menschliche stört in der Religion nur, deshalb ist sie so unmenschlich.
Ich persönlich habe überhaupt nichts gegen den Glauben an sich. Ich glaube ja selbst an so manche Unmöglichkeit. Dass der FC Bayern in diesem Jahrzehnt noch mal die Champions League gewinnt zum Beispiel, oder dass der Mandel den Computer nach der Arbeit auch mal runterfährt, statt nur auf Stand-by zu schalten. Ich will damit sagen, dass die Leute ruhig an etwas glauben können. Jeder nach seiner Fasson, da kann man niemandem etwas vorschreiben. Der Thomas Bernhard hat in diesen Mallorca-Interviews mal sinngemäß gesagt, dass man den Leuten ihren Glauben ruhig lassen soll. Man nimmt den Leuten ja auch nicht einfach ihre Illustrierte weg. Am Glauben ist nichts auszusetzen, solange er die Leute unterhält statt unterdrückt. Solange der Glaube die Menschen nicht drangsaliert, ist er nicht per se etwas Schlechtes. Ich kann nicht für andere Religionen sprechen, weil ich nicht genau weiß, wie beispielsweise der Hinduismus den Leuten zusetzt, aber ich weiß, wie die katholische Kirche Leuten wie mir einen ungeheuerlichen Wackelkontakt im Kopf beschert hat, der mich auch dreißig Jahre später noch manchmal denken lässt, ich wäre dem lieben Gott etwas schuldig. Der liebe Gott , die Phrase allein schon. Nicht mehr hinauszuwaschen aus dem katholizierten Gehirn. Und das kommt, weil sie einen nicht einfach glauben lässt, sondern dazu zwingen will.
Diese jahrzehntelange Oppression durch die Kirche hat bei mir schon mit den Großeltern begonnen.
»Unser lieber Herrgott sieht das, wenn du im Gottesdienst nicht mitsingst«, hat der Opa väterlicherseits
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