Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Black Mandel

Black Mandel

Titel: Black Mandel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berni Mayer
Vom Netzwerk:
warnend an jedem Sonntagmorgen vor der Messe zu mir gesagt. Natürlich hatte ich schon damals meine Zweifel, ob der liebe Gott am Sonntagfrüh ausgerechnet immer in unserer Kirche vorbeischaut, weil immerhin gibt es eine nicht unbeträchtliche Anzahl an Kirchen, wo Sonntagfrüh eine Messe gehalten wird, da kann mir keiner erzählen, dass der liebe Gott jeden Sonntag alle abklappert, um nachzuschauen, wer gerade nicht mitsingt. Das Gefühl des Beobachtetwerdens blieb. Aber weil der Opa gesagt hat, dass Gott alles sieht, von Hören aber keine Rede war, bewegte ich zu Evergreens wie O Haupt voll Blut und Wunden oder Was Gott tut, das ist wohlgetan meist nur die Lippen. Weil ich auch partout nicht singen wollte vor den ganzen Leuten aus meinem Ort. Das ist ja vor allem in der Pubertät eine einzige Bloßstellung, wie wenn die Personalabteilung vom Abfüllanlagenhersteller Krones geschlossen zum Karaoke geht. Ist ja keiner ein ausgebildeter Sänger. Von uns Buben hat damals sowieso eigentlich niemand mitgesungen. Mitsingen galt als unmännlich. Na ja, der Stefan Prebeck hat mitgesungen, aber der ist später auch Sozialpädagoge in Hildesheim geworden.
    Aber egal, ob man jetzt mitsang oder nicht, ständig hatte man Gott gegenüber ein schlechtes Gewissen, und der Religionsunterricht an der Schule verschärfte dieses schlechte Gewissen nur noch. Genauer gesagt der Pfarrer Gneissel. Der Verschärfer schlechthin. Ein unangenehmer Zeitgenosse und einer der Gründe, warum man schon mit sechs aus der Kirche austreten können sollte, damit man Menschen wie ihm im Fach Religion nicht in die Fänge gerät. Der Gneissel lief richtig zur Höchstform auf in seinem Beichtunterricht. Das war genau sein Ding. Da war man am Ende der Stunde heilfroh, dass man erst acht war und noch zirka achtzig Jahre übrig blieben, um seine ganzen Verfehlungen wiedergutzumachen, um am Ende nicht auf einer glühenden Mistgabel die Ewigkeit absitzen zu müssen. Im Beichtunterricht vom Gneissel hat ja alles auf die erste und gleichzeitig finale Beichte vor der Erstkommunion hinkulminiert. Die hat der Gneissel akribischer vorbereitet als jedes juristische Staatsexamen.
    »Dass ihr mir ja keine Sünden vergesst«, hat der Gneissel gedroht, woraufhin sich der Prebeck meldete:
    »Und wenn doch, weil man vielleicht zu aufgeregt ist?«
    »Der liebe Gott merkt sich, wenn du ihm etwas verschweigst«, erklärte der Gneissel, und die ganze Klasse fand das in seiner furchterregenden Konsequenz schlüssig. Man durfte also beim Beichten nichts vergessen, sonst hätte man ja schon wieder die nächste Sünde auf dem Kerbholz gehabt plus die, die man vergessen hat, und die ganze Beichte war umsonst.
    In den Wochen vor der ersten Beichte konnte ich kaum eine Nacht mehr ruhig schlafen, denn ich hatte fürchterliche Blähungen. Völlig gerädert setzte ich mich morgens an den Frühstückstisch, und als meine Mutter mich eines Tages fragte, was denn los sei, brach es aus mir heraus. Dass ich so viel Angst hätte, dass ich nach der Beichte nicht mehr in den Himmel käme wegen dem ausführlichen Sündenregister und dass ich mir alle meine Sünden überhaupt nicht merken könne, aber der Gneissel habe doch gesagt, man müsse sie auswendig lernen wie ein Gedicht, und ich war doch so schlecht im Auswendiglernen von Gedichten. Ich weinte, weil ich überhaupt nie zur heiligen Erstkommunion zugelassen werden würde bei so vielen Sünden und dann auch das Raumschiff von Star Wars nicht bekäme, das ich mir seit einem Jahr wünschte.
    Ich solle das mit den Sünden nicht so eng sehen, sagte meine Mutter, bei Kindern hätte sich der liebe Gott nicht so. Der Gneissel habe einen Hang zur Übertreibung, das sei wie im Fernsehen, da würden sich die Leute auch nicht wirklich totschießen. Und mein Vater, der gerade ins Zimmer gekommen war, hat sich kaputtgelacht und mir zugezwinkert und mit beiden Zeigefingern Teufelshörner an seinen Schläfen angedeutet. Diese Geste hat die Beschwichtigung meiner Mutter sofort annulliert. Dabei waren meine Eltern alles andere als praktizierende Katholiken. Ich wette, die haben damals jeden Sonntag das Marihuana, das sie aus den Sechzigern noch überhatten, pfundweise geraucht, während ich beim Gneissel in der Messe kniete. Aber mich haben sie der Religion zum Fraß vorgeworfen.
    Der Tag der Beichte rückte immer näher, und mir ging es von Tag zu Tag dreckiger. Jeden Tag lernte ich jetzt meine Sünden auswendig, und neben der Gedächtnisanstrengung war das

Weitere Kostenlose Bücher