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Black Mandel

Black Mandel

Titel: Black Mandel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berni Mayer
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natürlich auch eine unangenehme Durchforstung meines Gewissens: der Mama beim Fußballspielen ans Schienbein getreten, dem behinderten Neffen unserer Putzfrau den Fußball ins Gesicht geschossen, die Tigerkatze aus dem ersten Stock ins Rosenbeet geschmissen, die weiße Schokolade vom Papa aus der Küche gestohlen, der Mama die fünfzig Pfennig Wechselgeld vom Zigarettenholen nicht zurückgegeben, zu lang in der Badewanne geblieben, nachts heimlich Radio gehört, die Conan der Barbar - VHS -Kassette von meinem Onkel heimlich mit dem Daffner angeschaut – es war die reinste Litanei des Bösen. Erschwerend kam hinzu, dass man all diese Verfehlungen ja noch verschiedenen Kategorien zuordnen musste, die uns der Gneissel auf einem kopierten Merkzettel mit nach Hause gegeben hatte. Dabei handelte es sich um eine Art Lückentext für Sünder. Da stand zum Beispiel unter Punkt 4:
    Ich habe fremdes Eigentum entwendet wie …
(z. B. das Fahrrad meiner Schwester).
    Ich hätte hier jetzt die weiße Schokolade einsetzen müssen. Oder eben die Bravo , aber dazu komm ich gleich. Doch eine Sache irritierte mich: Unter Punkt 6 stand kein einziges Beispiel, und das beunruhigte mich am meisten. Dass ich nicht wusste, was bei Punkt 6 überhaupt gemeint war. Da ich in allen Kategorien mit Sünden ziemlich gut bestückt war, konnte es doch eigentlich nicht sein, dass ich ausgerechnet bei Punkt 6 nichts vorzuweisen hatte. Das würde dem Gneissel und dem lieben Gott doch gleichermaßen verdächtig vorkommen. Unter Punkt 6 stand nämlich:
    Ich war unkeusch (in Taten und Worten).
    Und kein konkretes Beispiel stand dabei. Ich weiß noch, dass der Prebeck den Gneissel im Beichtunterricht mal gefragt hatte, was denn unkeusch überhaupt bedeute, und der Gneissel hatte den Prebeck nur durchdringend angeschaut und gesagt:
    »Wenn du unkeusch bist, dann merkst du schon selber, was gemeint ist.«
    Ich weiß noch, dass ich daraufhin meinen Vater nach der Vokabel gefragt habe, aber der hat bloß gelacht und gesagt:
    »Das gilt nur, wenn einer schwul ist.«
    Womit ich vor der nächsten mysteriösen Vokabel stand.
    Am Tag der Beichte waren meine Blähungen so furchtbar, dass ich meine Mutter anflehte, nicht gehen zu müssen, weil ich Angst hatte, in dem Beichtstuhl plötzlich wie ein altersschwacher Hund unkontrolliert losflatulieren zu müssen. Außerdem war ich mir sicher, dass auch die Flatulenz gegen eine der Kategorien auf dem Merkzettel verstieß, ich wusste nur noch nicht, welche. Aber meine Mutter blieb hart und wies mich nicht nur auf das Raumschiff aus Star Wars hin, sondern auch auf die Problematik, dass ohne Erstkommunion vermutlich ein späterer Aufenthalt im Himmelreich praktisch unmöglich war. Sagte ausgerechnet sie, die kiffende Ketzerin. Als ich dann letztlich im Beichtstuhl kniete und es ganz fürchterlich nach Bubenfurz roch, war ich ein wenig beruhigt. Vor mir war der Hans Reisinger dran gewesen, und das war definitiv nicht mein Furz. Grade der Reisinger, der immer so tat, als wär alles im Leben eine Sportart. Der später die Ziegelei von seinem Vater übernommen und sie in Grund und Boden gewirtschaftet hat.
    Der Gneissel auf der anderen Seite vom Beichtstuhl hatte seine Stimme mit einem psychopathischen Flüsterton getarnt, und das vertrauensvolle Ambiente, das so ein Bußsakrament mit sich bringen soll, war schon mit der Begrüßung passé.
    »Gott, der unser Herz erleuchtet, schenke dir wahre Erkenntnis deiner Sünden und Seiner Barmherzigkeit. Knie jetzt nieder«, zischte der Gneissel.
    Da lief es mir schon eiskalt den Rücken hinunter. Ich gab mich gar nicht erst der Illusion hin, dass der Gneissel meine Stimme nicht erkennen würde, zu oft hatten wir den Ablauf in der Schule mit einem Vorhang geübt. Aber mir war das jetzt egal, ich wollte den Ablasshandel nur schnell hinter mich bringen, um mich den Rest des Tages in süßlicher Erlöstheit dem Erdbeerkuchen meiner Oma väterlicherseits zu widmen, den sie mir für meine gelungene erste Beichte versprochen hatte.
    Ich zählte also streng nach Kategorie Sünde um Sünde auf und ließ dem Gneissel noch nicht einmal die Zeit, sich wertend zu räuspern. Bis ich zu der Stelle kam, wo ich beim Bäcker die Bravo gestohlen hatte, als der Bäckerkarl kurz in der Backstube gewesen war, um die frischen Semmeln aus dem Ofen zu nehmen.
    »Du hast eine Illustrierte gestohlen?«, fragte der Gneissel nach, seinen Flüsterton empört Silbe für Silbe ablegend. Bei gestohlen war er schon

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