Black Rabbit Summer
ich.
Dad starrte mich an.
Ich schaute zurück. »Das hast du gerade eben gemeint, als du vom Pathologen gesprochen hast, es ging um den exakten Todeszeitpunkt. Sie haben ihre Leiche gefunden, stimmt’s?«
Dad sagte nichts, sondern starrte mich nur weiter an, doch ich wusste bereits, ich hatte recht. Ich hörte es am Klang seines Schweigens.
»Wann haben sie sie gefunden?«, fragte ich ihn.
Er seufzte. »Heute frühmorgens... im Fluss. Ungefähr hundert Meter stromabwärts.«
»Scheiße...«
»Tut mir leid, Pete. Ich wollte nicht, dass du es auf diese Weise herausfindest, aber das Untersuchungsteam versucht, es so lange wie möglich geheim zu halten, und ich habe John Kesey versprochen, es niemandem zu erzählen.« Er holte tief Luft und stieß sie danach langsam wieder aus. »Stellas Eltern sind informiert worden und sie haben eingewilligt, damit noch nicht an die Öffentlichkeit zu gehen, deshalb ist es zwingend notwendig, dass auch du keinem was erzählst. Denn sobald es bekannt wird, bricht das absolute Chaos aus, und das macht es dann für die Polizei so gut wie unmöglich, ihre Arbeit zu tun.«
»Wie ist sie gestorben?«, fragte ich leise.
Dad sah mich an. »Versprichst du mir, das Ganze für dich zu behalten?«
»Ja.«
Er nickte. »Also, im Moment scheint die Todesursache eine Kopfverletzung zu sein. Die Autopsie ist noch nicht abgeschlossen – sie warten auf die Ergebnisse einiger weiterer |361| Untersuchungen –, doch die einzige sichtbare Verletzung, die sie erlitten hat, ist die Wunde am Kopf.«
»Was ist mit ihrer Kleidung? Ich meine, wurde sie... du weißt schon...?«
»Nein, sie wurde nicht sexuell missbraucht. Ihr Körper war nackt, aber es gab keine Spuren einer Vergewaltigung.«
Plötzlich sank der ganze Horror dessen, wovon wir sprachen, in mich ein und ich glaube, ich habe mich noch nie so leer und dunkel gefühlt. Ich glaube, es waren die Worte »nackt« und »Körper«, die den Ausschlag gaben. Die beiden simplen Worte hatten es geschafft, die zerbrechliche Illusion zu zerstören, dass Stella noch am Leben war. Selbst als ich sie in dem Video gesehen und das Gefühl gehabt hatte, einem Geist zu begegnen, war noch immer etwas in mir nicht bereit gewesen, die Realität ihres Todes zu akzeptieren. Doch jetzt... also, jetzt war sie nichts mehr als ein nackter Körper, ein toter nackter Körper. Blass und weiß, kalt und leblos.
Ich roch dunkles Wasser.
Ich schauderte.
Ich spürte, wie ich zusammenschrumpfte, wie meine Sinne aussetzten. Ich wollte nur dasitzen und nichts tun. Ich wollte nicht reden, ich wollte nichts hören, ich wollte gar nichts... aber ich hörte, wie Dad mit mir sprach, mich fragte, ob alles in Ordnung sei, und offenbar hörte ich ihm zu, denn ich hörte mich antworten, er brauche sich keine Sorgen um mich zu machen, es sei nur der Schock, ansonsten sei alles okay mit mir...
»Bist du sicher?«
»Ja.«
Meine Stimme klang sehr weit weg und sie schien nichts mit mir zu tun zu haben.
|362| »Was ist mit Tom Noyce?«, fragte sie. »Wird er immer noch verdächtigt?«
»Na ja, er wurde befragt und sie nehmen noch immer den Wohnwagen auseinander, aber abgesehen von dem Blut an der Außenseite haben sie bis jetzt nichts Interessantes gefunden. Seine Mutter hat ihm ohnehin für den größten Teil der Nacht ein Alibi gegeben. Er ist bis auf Weiteres freigelassen worden, aber vielleicht werden sie ein zweites Mal mit ihm reden.«
»Wahrscheinlich denken sie immer noch, Raymond hat es getan, oder?«
»Das kannst du ihnen nicht verübeln, Pete. Alles deutet in diese Richtung. Sie haben sogar Bilder von Stella auf seinem Computer gefunden. Fotos, Filmausschnitte –«
»Das heißt gar nichts«, hörte ich den Weit-weg-Pete sagen. »Jeder, den ich kenne, hat diese Bilder im Internet angeguckt. Ich hab sie gesehen, alle auf der Schule haben sie gesehen, einschließlich der meisten Lehrer. Du hast sie doch bestimmt auch gesehen.«
»Ich hab sie nicht gesehen«, sagte Dad prüde.
»Ja, aber du bist auch nicht mit ihr zur Schule gegangen, oder? Ich meine, komm schon, Dad... wenn du mit einem gut aussehenden Mädchen zur Schule gingst und bekämst mit, dass es im Internet Nacktfotos von ihr gibt, wärst du dann nicht ein ganz kleines bisschen neugierig?«
»Das ist nicht der Punkt.«
»Doch, ist es.«
Meine Stimme entfernte sich jetzt immer mehr. Ich konnte sie noch hören und sie wurde auch nicht wirklich leiser, aber sie bewegte sich immer weiter von mir weg. Und eine
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