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Black Rabbit Summer

Black Rabbit Summer

Titel: Black Rabbit Summer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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einer der Typen von der Krake schon an sie herangemacht hatte. Er sah in etwa so aus wie alle anderen Kirmesarbeiter, die mir je begegnet waren – cool und durchtrainiert, rau, lässig und ohne jeden Selbstzweifel. Er stand hinter Nicole, die Arme locker auf die Rücklehne gelegt, beugte sich vor und ließ seinen Charme spielen. Durch das An- und Ausgehen der Lichter und das Kreiseln der Krake wirkte die Szene wie Daumenkino in Zeitlupe: Der |104| Typ von der Krake beugt sich hinein, Nicole ignoriert ihn, die andern beiden flirten...
flapp, flapp
... Nicole lehnt sich zurück, lächelt zu dem Typen hoch...
flapp, flapp
... ihre Hand an seinem Nacken, als er sich herabbeugt und ihr etwas ins Ohr flüstert...
flapp, flapp... flapp, flapp...
    Flapp, flapp.
    Heaven help me...
    Als ich wegging und Nic sich selbst überließ, sang Madonna noch immer.

    »Alles in Ordnung?«, fragte mich Raymond.
    »Klar... alles okay. Weißt du, wo die Toiletten sind?«
    Er schaute sich eine Weile um, dann schüttelte er den Kopf. »Da drüben gibt’s Bäume.«
    Wir saßen auf einer Bank in der relativen Ruhe und Stille von ein paar Kinderkarussells, nicht weit von dem hinteren Ende der Kirmes entfernt. Es war zu spät für kleine Kinder, und die Attraktionen – Hüpfburgen und harmlose Karussells – waren zu lahm für die andern, deshalb war hier alles dunkel und verlassen.
    Ich sah Raymond an.
    »Was ist?«, fragte er.
    »Das weißt du doch.«
    Er grinste.
    Ich seufzte. »Dir ist klar, was sie getan hat, oder?«
    »Nicole?«
    »Nein, Stella.«
    Er zuckte die Schultern und schaute weg.
    »Jetzt red schon, Raymond«, sagte ich. »Du weißt genau, was ich meine... wieso hast du das mit dir machen lassen?«
    »Was mit mir machen lassen?«
    |105| »Sie hat dich ausgelacht... alle haben dich ausgelacht. Sie haben dich verarscht...«
    »Ich weiß.«
    »Und warum hast du’s dann zugelassen?«
    »Keine Ahnung...«
    »Hat es dich nicht gestört?«
    Er antwortete nicht, sondern zuckte nur wieder die Schultern und ich wusste nicht, was ich noch sagen sollte. Es war schwierig mit Raymond. Eigentlich war er nie »ganz richtig«, und in der Konsequenz hieß das: Wenn er einigermaßen normal wirkte wie jetzt, stimmte meistens irgendwas nicht. Damit umzugehen war schwer. Also tat ich, was ich in der Regel tue, wenn ich nicht weiterweiß – nämlich nichts. Ich saß einfach da, schaute herum und versuchte, nicht an Nicole und den Krakentypen zu denken.
    Nach einer Weile sagte Raymond: »Stella bedeutet Stern.«
    Ich sah ihn an. »Was ist?«
    »Der Stern geht heute Abend aus«, sagte er. »Stella geht aus...« Er drehte sich um und sah mich an. »Sie hat mich geküsst.«
    »Ja, ich weiß. Komm her...« Ich zog ein Papiertaschentuch aus meiner Hose und wischte ihm den Lippenstift aus dem Gesicht.
    »Ich fühl mich komisch, Pete«, sagte er leise.
    Ich lächelte ihn an. »Du
bist
komisch.«
    »Nein«, murmelte er. »Ich mein
richtig
komisch. Ich fühl mich wie... keine Ahnung. Es ist, als wär ich jemand anderes.«
    »Jemand anderes?«
    »Ich sehe ständig so Sachen...«
    »Was denn für Sachen?«
    |106| »Sachen, die gar nicht da sind. Merkwürdige Formen und Farben... keine Ahnung.« Er blinzelte in die Ferne. »Irgendwie ist es, als ob sich die Luft bewegt...«
    »Du hast doch nichts von Paulys Dope geraucht, oder?«
    »Nein.«
    »Kribbelt deine Haut auch die ganze Zeit?«
    »Irgendwie schon.«
    »Tut dir der Bauch weh?«
    »Ja...«
    »Ist dir übel?«
    »Ein bisschen.«
    »Mir auch. Komm, lass uns gehen und die Toiletten suchen.«

    Ich sah Nicole wieder, als wir auf der anderen Seite der Kirmes zurückgingen. Sie saß mit diesem Typen von vorhin auf einer Holzkiste an der Rückseite der Krake. Er hatte die Füße auf den Generator gelegt, ihre Hand lag auf seinem Schenkel. Beide tranken etwas aus Pappbechern.
    »Was hat sie mit ihm vor?«, fragte mich Raymond.
    »Spaß haben«, antwortete ich.

    Wir hatten die Toiletten immer noch nicht gefunden, als Raymond plötzlich neben einem trist wirkenden Leinwandzelt stehen blieb. Die Zeltklappe war offen und auf dem Schild darüber stand:
MADAME BAPTISTE – WAHRSAGERIN
.
    »Komm schon, Raymond«, sagte ich. »Ich platz gleich, wenn wir nicht... Raymond?«
    Doch er betrat schon das Zelt.
    »Scheiße«, murmelte ich.
    Jetzt sah ich die Toiletten. Sie standen genau geradeaus, |107| ungefähr zwanzig Meter entfernt – zwei oder drei Reihen mattblauer Dixi-Klos. Einen Moment lang schaute ich sehnsüchtig

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