Black Rabbit Summer
gerade schön dort. Ich kann zwar nicht behaupten, dass mein Zimmer der aufgeräumteste Ort der Welt ist, aber Paulys Zimmer war nicht einfach nur unaufgeräumt, es war ein einziges versifftes, stinkendes Chaos. Überall lag Müll rum – leere Kentucky-Fried-Chicken-Schachteln, Haufen von dreckiger Wäsche, überquellende Aschenbecher, und Fliegen summten um ungespülte Teller. Das Bett ungemacht, die Laken total schmutzig und voller Flecken und das ganze Zimmer stank richtig eklig, irgendwie sauer, verschwitzt und verbraucht. Alles an dem Zimmer gab mir das Gefühl von Schmutz – der schmierige Fußboden, die versifften, schäbigen Möbel, die schmuddeligen Fotos, die lieblos an die Wände gepinnt waren. Der Vorhang war zugezogen, weshalb es kaum Licht im Zimmer gab, aber es reichte, um zu erkennen, dass einige der an die Wand gepinnten Bilder Computerausdrucke von Stella waren. Schäbige, traurige kleine Sachen – DIN-A 4-Blätter , schlecht gedruckt in Schwarz-Weiß, pixelige Internetbilder.
»Was ist?«, fragte Pauly, als er sah, dass ich sie betrachtete. »Das sind nur Bilder. Erzähl mir bloß nicht, du hättest sie nicht angeschaut.«
»Ich hab sie jedenfalls nicht überall an der Wand.«
»Was willst du damit sagen?«
»Es sind Bilder von
Stella
, Pauly«, antwortete ich. »Stella ist verschwunden –«
»Ja und? Denkst du, ich hätte damit was zu tun?«
»Das hab ich nicht gesagt.«
»Glaubst du, ich hätte ihr Foto an der Wand hängen, wenn ich irgendwas damit zu tun hätte?«
Ich sah ihn an. »Ich würde sie jedenfalls abhängen, wenn ich du wär«, sagte ich. »Bevor die Polizei kommt.«
|229| »Wieso sollen die Bullen denn überhaupt was von mir wollen?«, fragte er. »Was hast du ihnen erzählt?«
»Nichts. Sie haben mich nach Samstagabend gefragt, das ist alles. Da musste ich ihnen von der Hütte erzählen.«
»Was denn?«
»Sie wollten wissen, wer da war.«
»Wieso?«
»Raymond ist verschwunden, verdammt noch mal.
Deshalb.
«
»Ach so, ja... ich dachte, du meintest...«
»Was?«
»Nichts.« Er ging hinüber zum Bett, nahm ein T-Shirt von einem Haufen dreckiger Wäsche und zog es an. »Und, was ist mit ihm passiert?«, fragte er lässig und ging hinüber zu einem vollgemüllten Computertisch. »Mit Raymond, mein ich. Wo steckt er?«
»Wenn ich das wüsste«, seufzte ich, »wär er ja nicht verschwunden, oder?«
»Klar, stimmt...«
Pauly stand jetzt an seinem Computertisch. Er hatte mir den Rücken zugewandt, sodass ich nicht sehen konnte, was er tat, aber an der Unbestimmtheit seiner Stimme erkannte ich, dass er mit seinen Gedanken nicht bei Raymond war. Er konzentrierte sich auf etwas anderes – nahm etwas, steckte es in die Hosentasche, nahm etwas anderes, öffnete eine Schublade, schob was hinein, schloss die Schublade...
»Ich hab der Polizei gesagt, dass du an der Hütte warst«, sagte ich, »aber von später hab ich nichts erzählt.«
Er drehte sich um und sah mich an. »Von später?«
»Als ich dich bei den Toilettenhäuschen gesehen hab. Du erinnerst dich? Du hast auf einer Bank gesessen, ich war auf |230| der Suche nach Raymond und du hast Eric und Campbell beobachtet.«
»Ich hab sie nicht
beobachtet
.«
»Doch, hast du. Ich hab fast fünf Minuten hinter dir gestanden. Ich hab
dich
beobachtet.«
Sein Gesicht verfinsterte sich. »Du hast
was
?«
»Du
hast
sie beobachtet, Pauly. Ich weiß es.«
Er starrte mich jetzt mit kalten, harten Augen an und für einen kurzen Moment hatte er etwas an sich, das mich erschreckte. Es war keine echte Angst; ich dachte nicht, dass er mir wirklich etwas
antun
würde. Aber ich sah die Möglichkeit irgendeiner Art von Gewalt in seinem Blick. Es war seltsam – als wäre er ein anderer, jemand, den ich nicht kannte.
Und ich fragte mich, ob ich ihn überhaupt jemals gekannt hatte.
Der Moment dauerte jedoch nicht sehr lange, und als er die Schultern zuckte und sich eine Zigarette anzündete, verloren seine Augen ihre Kälte und der Pauly, den ich kannte, kehrte zurück.
»Ja, okay...«, sagte er und blies Rauch aus. »Dann hab ich sie also beobachtet, na und? Gibt doch kein Gesetz, das verbietet, Leute zu beobachten, oder?«
»Wieso hast du sie beobachtet?«
Er starrte mich an, dachte nach, dann ging er hinüber zu seinem Bett und setzte sich hin. »Also gut«, seufzte er und legte seine Zigarette auf einem Aschenbecher ab, »ich
hab
sie beobachtet, okay? Aber ich seh nicht ein, was das mit irgendwelchen andern Dingen zu tun hat.
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