Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Black Swan - Silberner Fluch

Titel: Black Swan - Silberner Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Carroll
Vom Netzwerk:
von den uralten mystischen Studien der Naturelemente fasziniert waren. Wer daran glaubte, wies gern darauf hin, dass einige der althergebrachten Prozesse in der modernen Metallurgie immer noch Verwendung fanden. Und wer hätte sich in diesen Zeiten nicht für eine Wissenschaft erwärmen können, die sich damit brüstete, das Geheimnis zu kennen, wie man Blei in Gold verwandelte?

    Aber solange ich diese Kunst nicht demnächst selbst meisterte, brauchte ich jeden Penny, den ich mir anderweitig verdienen konnte. Dem Juwelier hatte ich versprochen, die geöffnete Schatulle morgen zurückzubringen. Hoffentlich würde er sich bei mir melden, wenn ihm klarwurde, dass er mir keinen Namen und keine Adresse genannt hatte. Und falls nicht, dann würde ich das West Village und Tribeca so lange durchkämmen müssen, bis ich den Laden fand. In der Zwischenzeit konnte ich mich aber schon mal an die Arbeit machen.
    Ich ging in mein Schlafzimmer – einen winzigen Raum, der sich unter die Dachschräge kuschelte – und tauschte Rock und Bluse, die ich bei meinem Anwaltstermin getragen hatte, gegen eine alte Jeans, ein Sweatshirt und dicke Lederstiefel. Bei den Kursen in Schmuckherstellung und Schweißen hatte ich rasch gelernt, dass ein verirrter Funken ein Lieblingsshirt schnell ruiniert und sich in Windeseile durch dünnen Stoff bis auf die Haut hindurchfrisst. Meine Arbeitsklamotten waren voller Brandlöcher und rochen nach Gas, Metall und Asche. In dieser Kleidung fühlte ich mich sofort wieder mehr wie ich selbst.
    Mein Haar band ich zu einem Pferdeschwanz zusammen, dann ging ich ins Studio zurück und schaltete das Radio an, das stets auf WROX eingestellt war, einen Sender, der Alternative Rock spielte und den ich gern beim Arbeiten hörte. Die seidenweiche Stimme der Moderatorin – ihre Sendung nannte sich The Night Flight with Ariel Earhart – entspannte mich immer. Ich lächelte, als ein Song von London Dispersion Force lief. Meine beiden besten Freunde spielten in dieser Band, und ich freute mich, dass sie ein wenig Airplay bekamen. Es war ein
neuer Song, der den Titel »Troubadour« trug. »The troubadours wrote songs to salve heartbreak«, sang Leadsängerin Fiona, »to let their loves know all their endless pain.« Während ich mich im Rhythmus hin und her wiegte, machte ich meinen Gasbrenner bereit und fühlte, wie mich eine Ruhe überkam, die ich den ganzen Tag noch nicht gespürt hatte. Die Arbeit ist ein Gottesgeschenk , dachte ich, während ich die schweren Handschuhe überstreifte und das Kästchen zu mir heranzog. Und wie zum Teufel soll ich dieses Ding jetzt aufbekommen, ohne es kaputt zu machen?
    Ich untersuchte den Metallsaum, der die Schatulle umschloss. Da die Kanten des kleinen Behälters unversehrt waren, musste ich davon ausgehen, dass das Metall, mit dem er zusammengelötet worden war, weicher war als das Silber, aus dem das Kästchen bestand – andernfalls wäre das Silber beim Versiegeln geschmolzen. Das Gleiche galt für das eigentliche Siegel, das über dem Verschluss angebracht worden war. Also konnte ich das Siegelmetall vielleicht erhitzen, eine Klinge unter den Kistendeckel schieben und unter dem Siegel hindurchführen. Ich wählte eine Stahlklinge aus, setzte die dünnste Lötspitze auf den Gasbrenner und stellte die richtige Zufuhr von Acetylen und Sauerstoff ein. Als ich alles vorbereitet hatte, schob ich mir eine Schutzmaske über die Augen und richtete den Brenner auf den Metallsaum. Zuerst geschah nichts Erkennbares. Wäre das Siegelmetall aus Blei gewesen, hätte es längst schon zu schmelzen begonnen. Offenbar handelte es sich um eine andere Zusammensetzung. Ich justierte die Höhe der Flamme.
    Noch immer tat sich nichts.

    »Komm schon«, flüsterte ich dem Metall zu, und durch meinen Atem beschlug die Schutzbrille. »Stell dich nicht so an.«
    Als ob das Metall auf meine Stimme hörte, wurde der Metallsaum unter der Lötspitze plötzlich seidig und schimmerte wie ein helles Band. Er begann zu schmelzen.
    »So ist es fein«, lobte ich mit sanfter Stimme. Ich führte den Gasbrenner über den ganzen Rand der Schatulle, bis das Metallsiegel Blasen schlug. Mit der anderen Hand drängte ich die Stahlklinge unter den Deckel, zog sie unter den drei verschlossenen Seiten entlang und schob sie dann unter das runde Siegel. Das Metall begann zu glühen, und dann wurde die ganze Siegelfläche leuchtend weiß – nur der auffliegende Schwan in seiner Mitte nicht. Er blieb schwarz vor dem hellen

Weitere Kostenlose Bücher