Blackbirds
Miriam mit dem Rücken dagegenlehnt, und deshalb schafft er es beim ersten Mal nicht, die Tür zu öffnen. Sie kommt sich vor wie ein Vogel im Netz, der hektisch mit den Flügeln schlägt. Sie weiß, dass sie wegkommen, freikommen muss, damit sie sie nicht – nun ja, sie weiß nicht, was sie ihr antun werden, aber sie weiß, dass es nichts Gutes sein kann.
Miriam rappelt sich auf und räumt die Tür im selben Moment, als Frankie, der denkt, er brauche sein ganzes Gewicht und die volle Wucht, dagegenknallt. Er kommt herausgestürzt wie eine Kaskade von Besen aus einem überfüllten Wandschrank.
Frankie taumelt und kommt zwischen Miriam und dem großen, haarlosen Mann zum Stehen.
Sie schubst Frankie fest in den haarlosen Wichser. Sie gehen beide zu Boden, und eine winzige Stimme in ihr freut sichwahnsinnig, dass der Hurensohn sich vielleicht den strahlend weißen Anzug dreckig macht.
Wie ein Reh, das vor der Treibjagd flüchtet, rennt sie über den Parkplatz auf den Highway zu.
Es ist ein schneller Highway. Zwei Spuren in jede Richtung.
Alles ist vorbeirauschendes Metall, gleißende Scheinwerfer. Eine Stahlstampede von 120 km/h.
Miriam überlegt nicht. Sie rennt einfach. Geradewegs in den Verkehr hinein.
Ihr Fuß berührt die Mittellinie, bevor sie es überhaupt merkt. Hinter ihr: ein Dopplereffekt von Hupen. Bremsenkreischen.
Sie ist auf der anderen Spur – ein Auto flitzt an ihr vorbei, dessen Spiegel ihr um ein Haar die ausgestreckte Hand abtrennt, kurz bevor es sie wie einen Kreisel rotieren lässt –, als sie das harte Krachen von Metall auf Metall hört, Glas auf Glas, Airbags und Schotter und Schreien. Sie hört jemand von dieser Spur »Heilige Scheiße!« sagen, als er sieht, was auch immer auf der anderen Spur vorgeht, und Miriam weiß, dass sie gerade einen Unfall verursacht hat, vielleicht einen schlimmen, aber sie schaut nicht zurück, denn zurückschauen heißt langsamer werden, und langsamer werden heißt getötet werden.
Du bist ein schlechter Mensch , denkt sie. Du hast gerade einen Unfall verursacht. Und ein winziger Teil von ihr freut sich darüber, denn es bedeutet eine Ablenkung für sie, ein Abbremsen, ein Hindernis.
Du nutzt die Menschen aus. Sogar wenn du es gar nicht vorhast.
Es könnten Leute verletzt werden. Du könntest stehen bleiben und helfen ...
Aber eine andere Stimme ruft ihr ins Gedächtnis: Es ist, wie es ist, das Schicksal kriegt, was das Schicksal will, das hier ist s chon festgelegt worden, also beweg dich, beweg dich, beweg dich.
Ihr Fuß berührt den Seitenstreifen auf der anderen Seite. Eine Schiedsrichterstimme in ihrem Kopf brüllt: Safe! Ein Auto hinter ihr lässt die Hupe dröhnen. Unaufhörlich. Sie stellt sich eine vornübergekippte Leiche vor, Kopf auf dem Lenkrad, aber sie hofft, dass es das nicht ist, dass es nur das Auto ist.
Der Schiedsrichter in ihrem Kopf hat jedoch unrecht. Sie weiß, dass sie nicht in Sicherheit ist. Es ist nur eine Illusion.
Miriam rennt weiter.
Vor ihr ist ein Lagergelände. Reihe um Reihe orangefarbener Lagereinheiten.
Es ist eine Rund-um-die-Uhr-Anlage, aber sie hat ein Tor und einen Tastenwahlblock und ist fester verschlossen als das Arschloch eines Chorknaben und von einem mit Stacheldraht gekrönten Einfassungszaun umgeben. Aber das ist ein Merkmal, kein Fehler. Miriam springt. Trifft den Zaun wie ein Hai.
Sie klettert.
Der Stacheldraht ist alt und nicht instand gehalten worden. Er hat keine Spannung. Er biegt sich unter ihren Händen. Aber er sticht sie trotzdem, reißt trotzdem gezackte Krallenmale in ihre Jeans und die Haut darunter. Ihr fällt ein, dass sie in letzter Zeit keine Tetanusimpfung gehabt hat, und wäre das nicht der Hit, ihren Killern zu entkommen, aber an einem beschissenen Wundstarrkrampf zu sterben? Aber dann ist sie oben und drüber und landet hart auf der anderen Seite.
Der Aufprall geht ihr die Schienbeine hoch und in die Knie und die Schmerzen sind übel (vielleicht hast du dir was gebrochen) , aber sie bleibt nicht stehen. Die Tatsache, dass sie überhaupt laufen kann, wenn auch unter Schmerzen, bedeutet, dass nichts gebrochen ist, richtig? (Sagt das Mädchen, das keine Ärztin ist.)
Die Lagereinheiten sind in Neonlicht gebadet, aber Inseln von Schatten bleiben.
Miriam läuft ins Zentrum des Lagerareals. Sieben Reihen tief, abbiegen, fünf Einheiten rein.
Der Gestank nach verfaultem Fast Food trifft sie, aber sie kümmert sich nicht darum; sie kauert sich hinter eine Mülltonne, macht
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