Blackbirds
sich zwischen zwei Lagereinheiten so klein sie kann.
Sie wartet.
Das war er.
Das haarlose Wichser mit dem Filetiermesser. Der, der Louis beide Augen herausschneidet und ihm ins Gehirn sticht, um ihn zu töten.
Ein klarer Beweis, einmal mehr, dass Miriam diejenige ist, die das verursacht. Die Kette von Ereignissen spult sich wieder ab, ein grausamer und höhnischer Filmstreifen, flip-flip-flip , eine Kaskade von Was-wäre-wenns: Wenn sie nicht zu ihm in diesen Truck gestiegen wäre, wenn sie nicht mit Ashley rumgemacht hätte, wenn sie nicht zu Louis zurückgegangen wäre ...
Aber trotzdem, es passt nicht zusammen. Sie versteht es nicht. Noch nicht. Louis ist weg. Sie sind hier. Er nicht. Wieso sollten sie mit ihm Kontakt herstellen? Gibt es unerledigte Geschäfte?
Es ergibt keinen Sinn.
Eins weiß sie jedoch: Das Schicksal zeigt seine Hand nie zu früh. Es wartet immer bis zum letztmöglichen Moment, ehe es seine Karten aufdeckt.
Die Show ist noch nicht vorbei.
Dann wird sie entdeckt.
Die einzige Waffe, die sie hat, ist ein kaputter Stock, den sie auf dem Boden hinter sich gefunden hat, und sie denkt: Ich g ehe nicht ohne einen Kampf da raus. Sie wird ihn irgendwem ins Auge stoßen. Zur Vergeltung. So eine Art Erstschlag-Vergeltung, wo die Rache vor der begangenen Tat kommt. Die Rache des Zeitreisenden, Verteidigung geboren aus Voraussicht.
»Alles in Ordnung mit Ihnen?«, ertönt die Stimme.
Es ist ein Mann. Nicht Frankie. Nicht der haarlose Wichser.
Mitte dreißig. Stoppelbart. Brille. Haare mit Schweiß an die Stirn gepappt, Baseballkappe in der Hand. Er späht über und um die Mülltonne herum.
»Miss?«
Sie steht auf. Sie weiß nicht, wie lang sie hier gewesen ist. Eine halbe Stunde? Eine Stunde? Länger? Sirenen haben sich genähert und entfernt wegen des Unfalls. Alles war ruhig bis auf ein paar Autos, die in die Anlage herein- und aus ihr herausgefahren sind (und bei jedem Auto stockt ihr das Herz, bleibt ihr Atem stehen).
Der Typ macht große Augen, als er sie sieht.
»Sie bluten!«, sagt er.
Miriam weiß nicht, wie sie reagieren soll. Sie bleibt in dem Raum zwischen den zwei Einheiten eingekeilt; Enttarnung könnte den Tod bedeuten, doch es ist nicht der Tod, um den sie sich Sorgen macht. Es ist das, was davor kommt.
»Ja«, sagt sie. Bescheuert. Aber es ist alles, was sie hat.
»Waren Sie in diesen Unfall verwickelt?«
»Ja«, lügt sie. Obwohl es vielleicht keine Lüge ist. Sie war auf alle Fälle dabei.
»Brauchen Sie Hilfe?«
Sie feuert mit einer Frage zurück: »Haben Sie ein Auto?«
»Ja. Ich war bloß hier, um vor unserm Umzug ins neue Haus noch ein paar Sachen in eine Lagereinheit zu stellen – tut mir leid. Das müssen Sie wirklich nicht wissen. Mein Forester steht um die Ecke.«
»Können Sie mich irgendwohin bringen?«
Er zögert. Er ist sich nicht sicher, und er tut recht daran, unsicher zu sein. Miriam weiß, dass die Puzzleteile keinen Sinn ergeben. Kein Glas in ihren Haaren. Die Verletzungen an ihren Beinen stammen nicht von einem Autounfall. Er hat sich in seinem Kopf die richtige Frage noch nicht gestellt, aber das wird er noch. Sie hofft nur, dass sie, bis er eins und eins zusammengezählt hat, schon im Wagen und weit, weit weg von diesem Ort sind.
Du kommst hier raus – wie eine Ratte durch ein Schlupfloch, fast geschafft, nur noch ein kleines Stück ...
»Ja«, sagt er schließlich. »Klar doch. Kommen Sie, hier lang! Ich heiße Jeff ...«
Sie macht Anstalten, herauszukommen.
Der Mann, Jeff, sieht schnell nach links.
Dann zuckt sein Körper zur Seite, begleitet von spritzendem Blut und einem Pistolenschuss.
Miriam tritt die Mülltonne um und dreht sich um, um in die andere Richtung zu rennen, um sich zwischen die Lagereinheiten zu ducken und auf der anderen Seite rauszukommen.
Dazu kommt es nicht.
Stattdessen sieht sie sich Auge in Auge dem haarlosen Wichser gegenüber. Er nickt.
»Wie leicht wir uns von Ablenkungen vom Weg abbringen lassen«, sagt er.
Und dann macht er einen Schritt zurück und feuert den Taser in ihren Bauch ab. Jede Zelle in ihrem Körper glüht auf wie ein Weihnachtsbaum. Heiß und kalt. Beißende Feuerameisen. Eine Feuerwerksknallkette. Ihre Knochen fühlen sich an, als würden sie gleich brechen.
Alles ist weiß, hell und schrecklich.
ZWISCHENSPIEL
Das Interview
Pauls Leiche liegt verkrümmt am Fuß der Treppe. Sein Kopf ist in einem üblen Winkel verdreht, das Kinn liegt auf der Schulter und zeigt auf neunzig Grad.
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