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Blackbirds

Blackbirds

Titel: Blackbirds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Wendig
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ist eine eigene Welt«, fährt Glatze fort. »Es hat eigene Hierarchien und Werte. Es hat eine eigene Nahrungskette und eine eigene Hackordnung. Dabei ist es etwas ganz Natürliches.«
    Ashleys Mund ist mit Isoband zugeklebt. Miriam kannseine Hände und Füße nicht sehen, aber die Art, wie er herumzappelt, sagt ihr, dass er ebenfalls gefesselt ist. Mit den Händen auf dem Rücken, wie sie.
    »Wir denken in einer ganz bestimmten Weise über die Natur. Wir glauben, dass sie ausbalanciert ist. Wir glauben, dass sie auf ihre eigene Art gerecht ist. Aber die Natur ist nicht gerecht. Und nicht ausbalanciert. Sie neigt dem zu, was wir böse nennen. Grausamkeit wird belohnt. Versteht ihr? Harriet weiß das.«
    Harriet ergreift das Wort. Sie klingt begeistert. Die Monotonie ist weg. Die Drohne aus geschmacklosem Pappkarton ist verschwunden, stattdessen ist da ein blutrünstiger, kichernder Unterton in ihrer Stimme, die sich zu überschlagen droht und in purem Entzücken immer deutlicher hörbar ist.
    »Pinguin-Mütter sind freundlich zu ihren Kindern. Wölfe sind ehrenhaft. Schimpansen sind edel und weise. Alles Lügen, Lügen, um es uns schönzureden. Der Mensch will, dass die Natur nobel ist, weil sie ihn zwingt, nobel zu sein. Der Mensch weiß, dass er über den Tieren steht, also muss er, wenn niedere Kreaturen nobel sind, es ebenfalls sein. Aber eine solche Moral, einen solch ehrenhaften Maßstab gibt es nicht«, sagt Harriet. Ihre Worte triefen nur so vor Ätschibätsch-hab-ich-dir-doch-gleich-gesagt-Verachtung. »Tiere sind bösartig und grausam. Katzen vergewaltigen einander. Ameisen versklaven andere Insekten, einschließlich anderer Ameisen. Schimpansen fechten üble Stammeskämpfe aus – sie töten bereitwillig, sie pinkeln und scheißen auf die Leichen ihrer Gegner, nehmen die Jungen ihrer Erbfeinde und schleudern sie gegen Felsen. Sie stehlen Weibchen und zwingen sie, Jungen auszutragen. Manchmal essen sie die besiegten Männchen.«
    Harriet wendet sich zu ihnen um, und Miriam sieht in ihren Augen Wahnsinn aufblitzen.
    »Die Natur ist brutal und grotesk. Das ist der einzige Maßstab. Das ist das Vorbild. Wir sind Tiere, und als Teil der Natur müssen wir ebenfalls brutal und grotesk sein.«
    Miriam glaubt in diesem Moment, Harriets Schultern in einem winzigen Schauder der Befriedigung zittern zu sehen.
    Dann konzentriert sich die Frau wieder aufs Fahren.
    Glatze klatscht vornehm Applaus. Miriam knurrt gegen ihren Isoband-Knebel an.
    Der haarlose Wichser dreht sich zu ihr um und legt einen langen Finger an seine Lippen.
    »Schschsch. Um dich kümmere ich mich später. Jetzt ist dein Freund dran.« Er wendet sich wieder Ashley zu, der blass und schweißüberströmt aussieht wie eine Flasche Milch, die man auf einem warmen Tresen hat stehen lassen. Er starrt auf etwas, das Miriam nicht sehen kann, etwas, das neben ihm auf dem Sitz liegt. »Herr Gaines, unsere Zeit zusammen wird folgendermaßen ablaufen. Ich habe zwei Fragen an Sie. Wenn Sie beide Fragen ehrlich und schnell beantworten, werde ich Sie nicht töten.«
    Glatze fummelt an dem Ding herum, das Miriam nicht sehen kann. Sie hört ein metallisches Quietschen, das Quietschen von Scharnieren.
    Er hält etwas hoch.
    Jetzt kann sie es sehen.
    Eine etwa 30 Zentimeter lange Bügelsäge. Brandneu. Das Preisschild klebt noch daran.
    Glatze tippt mit dem Fingernagel auf das Blatt. Tick-tick-tick .
    »Wie ich schon sagte, bin ich Geschäftsmann, und um erfolgreich zu sein, muss ich Grausamkeit beweisen, also verzeihen Sie mir. Meine erste Frage betrifft das Mädchen.« Glatze dreht sich um und wirft ihr einen Blick zu.
    Sie kann ihn nicht lesen. Vielleicht liegt das daran, dass er sie nicht lesen kann – und diese Verwirrung spiegelt sichauf seinem aalglatten, knochenweißen Gesicht. »Was sie tun kann – ist das echt? Kann sie das wirklich?«
    Ashley stöhnt gegen das Klebeband an.
    »Oh.« Glatze kichert. Er reißt Ashley das Klebeband mit einem Ruck von den Lippen. Ratsch .
    »Ich glaube ja«, platzt Ashley heraus. Er schnappt mit diesem von wundroter Haut umgebenen Mund nach Luft. »Ich glaube, es ist echt. Sie glaubt jedenfalls, dass es echt ist.«
    Miriam wehrt sich. Sie will ihm mit ihrem Stiefel ins Gesicht treten. Sie will durch ihren Knebel hindurchbeißen und ihn anschreien, dass es keine Rolle spielt, dass er diesen Arschlöchern nichts sagen soll. Wenn sie auch nur den Hauch einer Chance hätte, dann würde sie ihm die Zunge abbeißen. Sie würde

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