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Blackbirds

Blackbirds

Titel: Blackbirds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Wendig
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Die Augen stehen offen und sind glasig. Der Mund, geschlossen, als sei Paul für immer in Gedanken versunken. Seine Tasche liegt ein Stück weiter weg. Noch etwas weiter weg liegt ein Handy.
    Miriam geht die Treppe hinunter.
    Vor einer Minute hat sie zugesehen, wie er das Lagerhaus verließ.
    Phillys chemischer Gestank – ein dumpfes, saures Parfüm, das mit dem Dampf aus Kanalschächten aufsteigt und dank des Nieselregens in der Luft hängt und einem eine Mischung aus Klärgas und Pestiziden in Erinnerung ruft – brennt ihr in der Nase und auch in den Augen, und sie spürt, wie ihr die Tränen hochkommen, und sie redet sich ein, dass es nur daran liegt, am Gestank der Stadt.
    Als er ging, überquerte Paul die Straße.
    Dabei sah er auf seine Taschenrechneruhr aus längst vergangenen Tagen.
    Kein Auto fuhr ihn an. Kein Herzanfall riss ihn in den Tod.
    Er trat auf den Bordstein. Sein Handy klingelte.
    Eine Reihe von Betonstufen wartete auf ihn, und er nahm seinen Anruf entgegen und sagte: »Hi, Mama«, und vielleicht war das Telefon genug Ablenkung, aber sein Fuß nahm die Stufe in einem schlechten Winkel, mehr Absatz und weniger Zehe, und er begann zu fallen.
    Es wäre nicht viel passiert, aber Körper und Gehirn spielen nicht immer gut zusammen. Der Körper wäre auf eine Art gefallen, die natürlich gewesen wäre, den Aufprall gedämpft hätte. Das Gehirn flippt aus. Kampf oder Flucht. Panikreaktion. Das ist es, was mit Paul geschah. Er versuchte, sich zu retten. Versteifte sich. Spannte sich an. Drehte sich.
    Es rettete ihn nicht.
    Sein Körper überschlug sich den Rest des Falls, und am Boden drehte es ihm den Hals um. Der Knochen brach. Später wird Miriam lesen, dass man das auch eine ›innere Enthauptung‹ nennt. Es war schnell vorbei.
    Miriam musste nicht dort sein, um es zu sehen. Sie hatte das alles schon gesehen, als sie sich zum ersten Mal begegnet waren. Dies war seine Stunde.
    Sie geht die Stufen hinunter. Hält über seiner Leiche inne.
    Du hättest ihn retten können , sagt die bewusste Stimme. Das sagt sie immer. Wie aufs Stichwort zieht ein Schatten über ihr vorbei – ein Ballon, denkt sie, ein Folienballon. Aber als sie nach oben sieht, ist es bloß eine Wolke, die vor der Sonne vorbeizieht, keineswegs ein Ballon.
    »Es tut mir leid, Paul. Ich hätte nichts dagegen gehabt, wenn du der Welt von mir erzählt hättest. Sie hätten dir natürlich nicht geglaubt. Niemand tut das jemals. Aber es sollte nicht sein, Kumpel.«
    Miriam sieht sein Zeug durch. Sie nimmt den Rekorder. Sie durchforstet seinen Geldbeutel, wie ein Geier, der Fleisch vom Knochen pickt. Paul ist ein reiches Kind, so viel ist klar, und er hat ein paar Hundert Dollar plus ein paar Geschenkgutscheine und ein paar Kreditkarten bei sich.
    Mit flinken Fingern löst sie diese drollige Taschenrechneruhr, schiebt sie sich selbst über die Hand und zieht das Armband zu fest zu. Das Brennen am Handgelenk wird sie immer daran erinnern, wo die Uhr herkommt.
    Sie bleibt noch eine Weile da sitzen. Sie bekommt etwas ins Auge und wischt es weg. Pollen oder Staub.
    Oder vielleicht auch nur der Gestank der Stadt.
NEUNUNDZWANZIG
    Miese Beifahrer
    »Ich bin Geschäftsmann.«
    Diese Worte wecken Miriam.
    Die Stimme gehört dem haarlosen Wichser.
    Er spricht nicht mit ihr. Er spricht mit Ashley.
    Sie sind in einem Auto. Nein – einem SUV. Cremefarbenes Leder-Interieur. Luxus herrscht hier drin; es gibt DVD-Bildschirme in den Lehnen und USB-Anschlüsse, ein schimmerndes GPS und eine Kamera vorne auf der Konsole.
    Miriam liegt auf dem Rücksitz. Sie weiß nicht, was sie knebelt, aber sie wäre nicht überrascht, wenn es zwei Streifen von schwarzem Isolierband sind, die ein großes X bilden.
    Ihre Hände sind mit Kabelbindern gefesselt. Die Fußknöchel auch. Sie fühlt sich zerschlagen. Die Welt dreht sich. Das ist mehr als nur der Taser. Eine schwache Erinnerung schießt ihr durchs Hirn – Hände, die sie festhalten, ein Piekser, eine Spritze, ein warmes und wattiges Gefühl, das sie fortzerrt. Draußen flitzen Kiefern vorbei. Dunkelgrün gegen den grauen Himmel. Das geht schnell, sie verschwimmen förmlich. Was auch immer das für Drogen waren, sie sind aus ihrem System noch nicht verschwunden.
    Ashley sitzt vor ihr und sieht nach vorn.
    Glatze neben ihm.
    Ganz vorn fährt Harriet. Frankie sitzt auf dem Beifahrersitz und reinigt seine Pistole. Der Geruch von Waffenöl – voll, kräftig, nach Maschine – erfüllt den Wagen.
    »Das Business

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