Blackbirds
einen trüben Lichthof. Auf seinem Gesicht wächst lückenhafter Bart. Seine Augen liegen tief in den Höhlen. Seine Haare sind ein einzigesDurcheinander, und nicht auf die absichtliche Art, die er früher bevorzugt hat – im Moment sind sie einfach ein fettiger Filz.
»Ich brauche deine Hilfe«, sagt er. Er bittet. »Ich brauche dich.«
»Du brauchst ein Bad. Du riechst nach –« Sie schnuppert. »Katzenpisse. Jesus, Ashley! Du nimmst es! Du nimmst das Zeug tatsächlich!«
»Ich bin auf der Flucht.«
»Dann schaff dich verdammt noch mal von mir fort!«
»Sie verfolgen mich. Folgen jedem Schritt von mir. Ich muss am Ball bleiben. Es ist nur für den Moment.«
Sie lacht. »Nur für den Moment. Ich kann jederzeit aufhören. Ich wusste nicht, dass sie vierzehn war, Herr Wachtmeister.«
»Fick dich, du nikotingeile Alk-Irre!«
»Beides ist aber legal.« Wie um es zu demonstrieren, klopft sie eine Zigarette aus der Packung und zieht sie mit den Lippen heraus. »Und sie lassen mich wie eine Kneipe, nicht wie ein umgekipptes Katzenklo riechen.«
»Wir können irgendwohin gehen. Wir können überall hingehen. Einfach ein Flugzeug besteigen und los.«
»Wo ist der Koffer?«
Seine Augen huschen hin und her. »Um den habe ich mich gekümmert. Aber ich kann ihn besorgen, wenn wir ihn brauchen.«
»Du kannst keinen Metallkoffer voll Crystal Meth mit in ein Flugzeug nehmen, du Vollidiot.«
»Dann nehmen wir eben einen Bus.«
»Oh, Teufel auch, ich liebe den Bus!«, sagt sie. »Es gibt nichts Besseres als eine zwölfstündige Fahrt in einem ofenheiß gerösteten Sarg mit ungewaschenen Schizophrenen. Supergeil. Kapier es endlich: Ich werde nirgends mit dir hingehen. Du bist auf dich allein gestellt. Du hast mich da draußen dem Tod überlassen, zusammen mit einer bewaffneten Möchtegern-Annie-Wilkes. Sie hätte mich töten können!« Hatte sie wahrscheinlich tun sollen.
Sie nimmt die nicht angezündete Zigarette aus dem Mund und steckt sie sich hinters Ohr. Sie macht auf dem Absatz kehrt, lässt ihn stehen und geht ins Motel.
»Warte!«, sagt er und kommt ihr nach. Der Mann am Empfang – ein glatzköpfiger Kerl mit einer dieser durchsichtig-grünen Poker-Schirmmützen – betrachtet ihre Unterhaltung mit schläfrigen Augen. Sie hat nicht vor, ihm eine Show zu bieten. Sie geht in den Flur, vorbei am Eisautomaten.
Ashley folgt ihr auf den Fersen.
Er legt ihr die Hand auf die Schulter. Sie denkt ernsthaft darüber nach, hineinzubeißen, aber sie weiß nicht, wo diese Hände während der letzten Woche gewesen sind.
Stattdessen stößt sie ihn zurück.
Wieder greift er nach ihr. Sie packt eine Faustvoll von seinem Hemd und schleudert ihn zurück.
»Ich werde es ihm erzählen!«, sagt er schwankend.
Sie bleibt stehen. Über die Schulter fragt sie: »Wem willst du was sagen?«
»Deinem Lastwagenfahrerfreund. Ich werde ihm alles erzählen.«
Ihre Füße tragen sie vorwärts, fort von Ashley. Sie geht auf ihr Zimmer zu. Ehe sie es weiß, ist der Schlüssel in ihrer Hand, und auf einmal wird ihr klar, dass das ein schlechter Zug war. Aber sie weiß nicht, wohin sie sonst gehen oder was sie sonst machen soll, und das stille verängstigte kleine Mädchen in ihr will einfach nur zu Louis und sich in seinem Schoß zusammenrollen und sich von ihm vor ihren eigenen Fehlern beschützen lassen.
Sie macht die Tür auf und geht ruhig hinein.
Sie macht die Tür hinter sich zu und sperrt ab.
Sie setzt sich zitternd aufs Bett.
Louis ist schon auf und munter. Er sieht besorgt aus.
»Was war das? Was war das auf dem Flur?«
Miriam starrt nach vorn. Sie beißt sich auf die Lippe. Sie versucht, etwas zu sagen, und kann keine Worte finden.
Dann: ein Hämmern an der Tür.
»Was ist das?«, fragt Louis. »Wer ist das?«
»Geh nicht an die Tür!«, sagt Miriam.
»Geh nicht – was? Warum nicht?« Er geht zur Tür.
Sie ergreift seine Hand, als er vorbeikommt. »Du musst nicht. Du kannst es einfach ignorieren. Ignorier es. Bitte.«
Dann stellt er die Frage. Sie ist aufschlussreich. Sie verrät, was er wirklich von ihr denkt, oder genauer, was er an ihr fürchtet.
Er fragt: »Was hast du gemacht?«
»Ich ...« Die Worte verlieren sich nicht. Sie erscheinen erst gar nicht.
Louis geht zur Tür und öffnet sie.
Ashley schiebt sich ins Zimmer, als wäre Louis nicht da. Die Arme fest vor der Brust verschränkt, steht Ashley vor Miriam. Er schwankt hin und her, als wäre er irgendein von einem Maultier getretener
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