Blackbirds
nicht aus eigenem Willen, und etwas zerrt an ihnen – schnapp . Dann knallen ihre Füße auf Porzellan, denn der Kabelbinder, der sie hielt, wurde zerschnitten.
»Ich ...« Miriam stammelt. »Ich ... ich ver-verstehe nicht.«
Sie hört Harriets Stimme am Ohr. »Ich sagte, es ist Zeit, fügsam zu sein.«
Der Griff der Pistole knallt auf Miriams Schlüsselbein. Schmerz explodiert. Harriet packt Miriam, dreht sie um und beginnt, mit der Pistole buchstäblich auf sie einzuhämmern. Harriet hat den Pistolenlauf in der pummeligen Puppenhand und drischt mit dem stumpfen Ende des Griffs wieder und wieder auf Miriam ein, als versuche sie, Nägel durch ein Brett zu schlagen. Immer wieder trifft der Pistolengriff auf Miriams Rippen, ihren Magen, ihren Nacken, überallhin. Ihr Körper besteht nur noch aus tausenden Knoten von Agonie.
Als das Blut wieder durch ihre Hände zirkuliert, tut sie es, bevor sie es realisiert.
Sie versetzt Harriet einen Schlag direkt aufs Ohr.
Der kleine Napoleon taumelt aus der Wanne und hält sichdie Kopfseite. Miriam klettert über den Rand der Wanne und fällt mit der Schulter voran auf die Bodenfliesen.
»Vielleicht kapierst du die Bedeutung des Wortes ›fügsam‹ nicht«, brummt Harriet.
Sie packt Miriam an den Haaren und schlägt ihren Kopf an die Badewanne.
Miriams Welt dröhnt wie eine gottverdammte Glocke. Es tut nicht einmal mehr besonders weh. Es ist mehr ein dumpfer Aufprall, als sei sie nur ein Sandsack, den jemand mit einem Holzscheit geschlagen hat. Ein Teil von ihr denkt, wenigstens ist der Schmerz vorbei , aber das stellt sich als ein völlig inakkurater Eindruck heraus.
Bevor sie weiß, was passiert ist, ist Harriet wacklig wieder auf die Füße gekommen, und Miriam wundert sich, warum sie sich selbst vor Harriet stehen sieht. Ist das eine Nahtod-Erfahrung? Hat ihr Geist ihren Körper verlassen? Sie starrt sich für einen Augenblick selbst in die Augen und blinzelt.
Dann beeilt sie sich, wieder zu sich zu kommen, so, als würde sie sich selbst einen betrunkenen, schlampigen und blutigen Kuss geben ...
Krach.
Ihr Schädel fühlt sich an wie ein Apfel, der von einem kleinen Hackbeil gespalten wird. Dann dämmert es ihr: Harriet hat meinen Kopf gerade in den Spiegel gerammt.
Das ist wirklich sie, die sich fragmentiert in den tausenden Scherben widerspiegelt, die Spinne in der Mitte eines verästelten Netzes. Glasscherben fallen herab. Blut strömt über ihr Gesicht.
Harriet – nun überraschend sanft – legt Miriam auf dem Boden ab, mit dem Gesicht nach oben.
»So ist es recht«, sagt Harriet. »Ein fügsames kleines Mädchen.«
Miriam versucht, etwas zu sagen, aber es erscheinen nur rote Spuckebläschen. Ihre nassen Lippen schmatzen. Geräusche erreichen ihr Ohr zu spät oder verzerrt, als wäre sie ein leeres Ölfass. Und jedes Mal, wenn Ihr Herz schlägt, ist es, als schlüge jemand von außen mit einem Vorschlaghammer auf dieses Ölfass ein. Miriam ist nur noch ein ruiniertes Stück Fleisch. Sie fühlt sich wund.
Sie versucht, sich aufzurichten, aber sie bringt nicht einmal die Hände unter sich. Sie gleiten einfach ständig fort, bis sie wieder mit ausgestreckten Gliedern daliegt, wie ein Käfer auf dem Rücken, dessen Glieder hilflos zappeln. Ihr Kopf kippt zur Seite, Wange auf den Fliesen – ein Akt, der nicht ihrem eigenen Willen entspringt.
Vielleicht sterbe ich hier, denkt sie, und nicht weit entfernt sieht sie eine der leeren und zerknitterten Seiten ihres Tagebuchs, das gegen eine Heizung geflogen ist. Vielleicht ist das das Ende des Wegs.
Vielleicht ist das in Ordnung.
Ein schweres Gewicht legt sich plötzlich auf ihre Brust.
Benommen hebt sie das Kinn und sieht Harriet über sich, die lächelt.
Die Pistole liegt auf ihrer Brust. Jedes Mal, wenn ihr Herz schlägt, zittert die Pistole.
»Betrachte die Pistole als ein Geschenk«, sagt Harriet. Es hört sich an, als spreche sie von der anderen Seite eines sprudelnden Aquariums zu Miriam. »Das Tagebuch ist Geschichte. Dein Trucker-Freund wird bei Sonnenuntergang sterben. Dir tut alles weh. Lass den Schmerz verschwinden.«
Lass den Schmerz verschwinden.
Die Worte hallen wider in ihr.
Harriet lächelt und zieht sich aus dem Raum zurück. Sie schließt leise die Tür hinter sich.
Die Pistole liegt auf Miriams Brust wie der Anker eines Boots.
Ihre Hand – sie fühlt sich taub an, wie ein gigantisches Kissen – fällt auf die Brust und tastet nach der Waffe. Sie versucht, den Zeigefinger
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