Blackcollar
weil Ehre für einen Mann, der sich und andere so oft verraten hatte, bedeutungslos geworden war.
Und er stand im Begriff, es wieder zu tun. »Sie befindet sich allein in einem Haus, das etwa eine Meile nördlich vom Shandygaff liegt. Lathe hat es entdeckt.« Er nannte die Adresse. »Sie werden sie vermutlich sofort Quinn übergeben?«
»Das weiß ich nicht. Ich werde ihn um die Erlaubnis ersuchen, sie zuerst verhören zu dürfen.«
»Aber wenn Sie nichts von ihr erfahren, werden Sie sie ihm überlassen. Klar, das verstehe ich.«
»Kanai...«
Kanai wandte ihm wortlos den Rücken zu und verließ das Zimmer. Er hatte plötzlich das Bedürfnis, allein zu sein. Allein zu sein und saubere Luft zu atmen.
16
Sie holten sie am nächsten Morgen bei Tagesanbruch. Bernhard und zwei seiner Leute drangen so geräuschlos und rasch in das Haus ein, dass sie sie überwältigt hatten, bevor sie ihre Pistole ziehen konnte. Hawking beobachtete das Ganze von einem sicheren Ort aus, war aber zu weit weg, um ihr zu Hilfe zu kommen. Deshalb versuchte er es erst gar nicht, was ihm vermutlich das Leben rettete, weil kurz darauf die Sicherheitsmänner eintrafen und sie von den Blackcollars übernahmen.
»Verdammt«, knurrte Caine, der einen von Regers teuren, handgefertigten Bechern mit beiden Händen umklammerte. »Wir hätten sie nicht allein dort lassen dürfen. Verdammt noch mal! Lathe, warum haben Sie sie nicht hierher mitgenommen?«
»Weil wir nicht wussten, ob wir ihr vertrauen können.« Caine starrte Lathe wütend an - wie konnte er dabei so ruhig bleiben? Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch Pittman kam ihm zuvor.
»War ihre Handlungsweise im Shandygaff nicht Beweis genug?«, fragte er. »Sie hat ihr Leben aufs Spiel gesetzt, um das Ihre zu retten.«
»Nicht ganz - wir wären auch ohne sie mit Nash fertig geworden. Und Sie sollten inzwischen schon wissen, wie leicht so etwas inszeniert werden kann.«
»Vielleicht ist auch die Festnahme nur inszeniert«, meinte Alamzad. Als Pittman ihn erstaunt ansah, fügte er hinzu: »Oder ist das lächerlich?«
»Man kann es nicht ganz ausschließen«, gab Lathe zu. »Aber ich halte den Sicherheitsdienst nicht für so raffiniert. Nein, ich glaube, die Festnahme war echt.«
»Bernhard und Kanai haben also die Seiten gewechselt«, sagte Skyler nachdenklich. »Sie haben in Bezug auf Bernhard recht gehabt, Lathe, allerdings etwas verfrüht. Jetzt stellt sich die Frage, was wir dagegen unternehmen sollen - falls wir überhaupt etwas unternehmen.«
»Können wir nicht nach Athena fahren und sie herausholen?«, fragte Caine. »Sie hat ja bewiesen, dass sie loyal ist.«
»Nur auf negative Weise«, widersprach Hawking.
»Außerdem betätigen wir uns zurzeit nicht als Rettungsgesellschaft.« Caine sah Lathe drohend an. »Unsere Mission ist das Einzige, das für uns wichtig ist, und in unserem Terminkalender hat die Sorge um Anne oder um jemand anderen keinen Platz.«
Als Colvin zum Reden ansetzte, räusperte sich Lathe. »In diesem Fall werden wir allerdings eine Ausnahme machen müssen.«
Caine starrte ihn ungläubig an - und in ihm regte sich ein hässlicher Verdacht. »Jetzt verstehe ich. Wenn es um Menschen geht, deren Tod ich auf dem Gewissen habe, dann gehört das zu den Dingen, mit denen ich leben muss. Wenn es um Ihr Gewissen geht, dann unternehmen wir etwas. Sehe ich das richtig?«
Lathe wandte sich Caine zu, und dieser bemerkte erst jetzt den angespannten Gesichtsausdruck des Comsquare. »Nein, das ist nicht richtig, und wenn Sie Ihren Adrenalinausstoß einmal kurz abstellen, damit Sie klar denken können, dann werden Sie merken, dass es sich um zwei vollkommen verschiedene Fälle handelt. Die Lastwagenfahrer stehen mit keiner subversiven Gruppe in Verbindung - weder mit der Fackel noch mit uns, noch mit jemand anderem. Das wird sich bei einem einfachen Verhör ohne Anwendung von Druckmitteln herausstellen, und daraufhin wird man sie freilassen. Anne Silcox ist etwas ganz anderes: sie wird irgendwann alles, was sie über die Fackel weiß, erzählen - dafür wird Quinn schon sorgen.«
»Obwohl der Sicherheitsdienst kaum viel von ihr erfahren kann«, wandte Hawking ein. »Und das Wenige, das sie weiß, ist fünf Jahre alt.«
»Trotzdem könnte etwas Wissenswertes darunter sein.« Er sah Caine an. »Begreifen Sie den Unterschied? Sie sollen nicht das Gefühl haben, dass es sich hier um persönliche Dinge handelt.«
»Hab schon kapiert«, gab Caine widerwillig zu. »Wie gehen wir
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