Blackhearts: Roman (German Edition)
entscheidet, in welcher der Kommentator über Verschwörungen, Ufos und alles mögliche Unheimliche in Amerika spricht. Art Bell: der beste Freund des Truckers.
So zu fahren fühlt sich an, als wäre man bei Nebel in einem Boot. Man treibt ziellos dahin.
In diesem Moment erfasst sein Fernlicht etwas. Einen Umriss.
Einen Umriss, aus dem langsam ein Auto wird. Ein Wrack. Ein »kaputter Buntstift« im Truckerjargon.
Das Auto steht mitten auf der Spur.
Er hat genug Zeit zu reagieren, die Bremsen zu betätigen, den Mack zu verlangsamen. Er könnte es vermutlich umfahren – das Auto liegt senkrecht zum Rand des Highways, aber auf der andern Seite scheint genug Platz zu sein. Doch er sollte das hier melden. So was ist gefährlich. Und jemand könnte seine Hilfe brauchen.
Das Licht im Innern des Wagens ist an.
Dampf oder Rauch kringelt unter der Motorhaube hervor.
Louis hält den Truck an, schaltet die Lichter ein, schaut angestrengt durch die Windschutzscheibe.
Ein Honda Accord. Fünf, sechs Jahre alt. Womöglich ist esgar kein Wrack, denn er kann keine Strukturschäden erkennen. Beide Reifen auf der einen Seite sind platt.
Er lässt den Truck im Leerlauf. Die Scheinwerfer aufgeblendet.
Louis steigt aus dem Führerhaus.
Der Gestank trifft ihn unmittelbar: der penetrante, beißende Geruch von Frostschutzmittel, das wie bitteres grünes Blut auf den Asphalt läuft und sich um den vorderen Platten herumsammelt.
Louis umkreist den Wagen. Die Reifen auf der anderen Seite sind auch platt.
Im Wageninnern befindet sich niemand. Aber die Innenbeleuchtung ist immer noch an.
Louis hört etwas hinter sich.
Ein Schlurfen. Ein Scharren, ein Kratzen.
Er wirbelt herum –
Und der Atem stockt ihm in der Brust.
Es ist wie eine Szene aus diesem Hitchcock-Film. Die ganze Straße ist bedeckt mit Vögeln. Amseln. Stare. Krähen. Sie trippeln unruhig hin und her. Klauen klicken auf Asphalt. Klick-klick. Klick-klick .
Schnäbel von ihm weg gerichtet.
Augen zu ihm hin gerichtet.
Manche von ihnen murmeln. Oder krächzen. Oder erzeugen ein dunkles Zwitschern hinten im Hals. Er denkt, jeden Augenblick könnte einer der Vögel auf ihn losgehen. Oder Teufel auch, alle auf einmal – Flügel und Schnäbel und Krallen. Angst durchfährt ihn, Angst, dass die Vögel ausschwärmen, auf sein Gesicht losgehen und er sein verbleibendes Auge verliert, sodass er auf immer blind im Dunkeln zurückbleibt.
Halt dich fern von ihnen! Mach dich sofort aus dem Staub!
Sein Truck jedoch – er ist zu weit weg. Zwanzig Schritte sind eigentlich nicht viel, aber will man eine Fläche überqueren, die mit unheimlichen Vögeln bedeckt ist, sind sie es doch.
Das Auto. Steig in das Auto!
Vorsichtig bewegt er sich auf das Fahrzeug zu. Öffnet die Tür, so langsam und leise er kann. Schiebt seine große Gestalt in den Honda.
Das Lenkrad drückt hart gegen seine Brust. Der Sitz ist zu weit vorn.
Er tastet um sich, sucht an der Seite des Sitzes und darunter nach dem Hebel, um ihn zurückzuschieben –
Und als er wieder aufblickt, steht eine fette Krähe auf dem Armaturenbrett. Im Auto drin. Mit ihm. Louis widersteht dem Drang, auszuflippen – sein erster Gedanke ist: Pack sie, dreh ihr den Kopf ab wie einen Flaschenverschluss! –, aber er holt tief Luft und wartet.
Kleine Rauchringe steigen aus den Schnabellöchern der Krähe auf.
Rauch, der nach einer glimmenden Marlboro riecht.
»Was geht, Lou?«, fragt die Krähe und spricht mit Miriams Stimme.
Louis macht sich beinahe in die Hose.
Draußen hüpfen die Vögel auf der Motorhaube herum. Und was noch schlimmer ist, er hört das Kratzen von Krallen über ihm auf dem Dach und hinter ihm auf dem Kofferraum.
»Hey«, sagt die Krähe wieder, wobei sie immer noch perfekt Miriams sarkastischen Tonfall imitiert. »Einauge. Kapitän Darling von der S.S. Zyklop. Hörst du zu?«
»Das hier passiert nicht!«, behauptet Louis.
»Oh, aber allemal passiert das hier, Sahneschnittchen! Ob es dir nun passt oder nicht. Ich habe eine Nachricht für dich. Sperr deine großen beschissenen Ohren auf und hör zu. Hörst du zu?«
»Ich … höre zu.«
»Miriam steckt in Schwierigkeiten. Watet bis zur Hüfte drin und sinkt rapide weiter ein. Sie steckt nicht nur bis zum Hals in der Scheiße, sondern bis Oberkante Unterlippe. Kein Atemgerät. Nichts da, woran sie sich rausziehen könnte. Nicht mal ein Paar dieser aufblasbaren Gummiteile für die Arme. Die Mächte der Dunkelheit formieren sich gegen sie, Lou.
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