Blackmail: Thriller (German Edition)
Er berief eine Pressekonferenz ein und verkündete, dass man bei ihm Lungenkrebs diagnostiziert habe und er deswegen in drei Monaten aus dem Amt scheiden würde.
Das war vor zwei Monaten.
Wenn der Honorable Mayor Jones tatsächlich in vier Wochen wie versprochen den Schreibtisch räumen wird, ist der Posten des Bürgermeisters neu zu vergeben. Die lokalen Wahlgesetze schreiben vor, dass innerhalb fünfundvierzig Tagen nach Freiwerden des Amtes eine neue Wahl stattzufinden hat. Und hier, in diesem Büro, wird mir mit einem Schlag bewusst, wie wichtig dies für Shad Johnson ist. Wenn es ihm gelingt, einen reichen weißen Arzt wegen eines Kapitalverbrechens vor Gericht zu stellen, kann er sein Versprechen an die schwarze Wählergemeinde als eingelöst betrachten und sich mit einer vereinten Schar von Anhängern in den Wahlkampf stürzen – etwas, das ihm vor fünf Jahren versagt geblieben ist.
Die scheinbar grenzenlose Zuversicht in Shads Augen lässt eine weitere Erkenntnis in mir dämmern. Er muss nicht einmal einen Schuldspruch erreichen. Selbst wenn Shad verliert, gewinnt er in der schwarzen Gemeinde politisch an Gewicht, allein weil er sich die Mühe gemacht hat. Er kann stets behaupten, dass der weiße Mann heimlich das System manipuliert, wenn er im Gerichtssaal verliert.
Ich blicke Shad fest in die Augen, doch meine Stimme ist leise. »Sie wollen erneut für das Amt des Bürgermeisters kandidieren.«
Er blinzelt wie ein Reptil, das ein Sonnenbad nimmt. »Kein Kommentar, Herr Anwalt.«
»Sie denken, Drew Elliott ins Parchman-Gefängnis zu schicken wäre Ihr Ticket zu einer vereinten schwarzen Wählerbasis.«
Shad versucht, meine Theorie mit einer Handbewegung abzutun. »Wir haben hier die Aufgabe, Dr. Elliott als Mordverdächtigen auszuschließen – falls wir können –, sodass meine Beamten mit den Ermittlungen zu diesem abscheulichen Verbrechen fortfahren können.«
Wie für einen Reporter gesprochen. Meine neue Einsicht in die politische Situation hat meinen Verstand auf ein Dutzendverschiedene Wege geschickt, doch ich bin nicht hier, um mir den Kopf über die Zukunft von Natchez zu zerbrechen. Ich bin hier, um Drew Elliott zu schützen.
»Also schön«, sage ich im Tonfall eines Mannes, der sich geschlagen gibt. »Was halten Sie davon: Dr. Elliott hat ein eigenes Labor in seiner Praxis. Schicken Sie ein paar Polizeibeamte hin, gleich jetzt, während der Mittagspause. Seine Labortechnikerin kann die von Ihnen benötigte Blutprobe nehmen oder eine Speichelprobe oder was auch immer, und die Cops können bezeugen, dass die Probe von Dr. Elliott stammt. Auf diese Weise bleibt die Beweiskette intakt, genau wie Elliotts Ruf.«
Shad nickt. »Damit kann ich leben.«
Ich schaue auf meine Armbanduhr. »Dann rufe ich ihn jetzt an und sag ihm Bescheid.«
»Ich dachte, er hätte einen Notfall?«
»Der ist inzwischen bestimmt schon versorgt.« Ich erhebe mich und reiche Shad die Hand.
Er nimmt sie, doch anstatt sie zu schütteln, drückt er sie nur schlaff und lässt gleich wieder los. »Ich hoffe, Ihr Mandant kommt sauber aus der Sache heraus, Penn. Wenn nicht …«
»Keine Sorge, er wird sauber herauskommen.«
Shad blickt mich überrascht an. Doch ich habe von dem Mord an Kate gesprochen, von nichts anderem.
Ich bin fast an der Tür, als er sagt: »Penn, wegen der Situation im Bürgermeisteramt …«
Ich drehe mich um und sehe ihn gleichmütig an. »Ja?«
»Ich habe gehört, dass einige einflussreiche Einheimische Sie letztes Jahr gebeten haben, gegen Wiley Warren zu kandidieren.«
»Das stimmt. Ich hatte kein Interesse.«
»An einer Kandidatur gegen Warren oder am Bürgermeisteramt?«
»Beides.«
Shad mustert mich mit unverhohlener Neugier. »Die Stadt hat sich sehr verändert seit dem letzten Jahr.«
»Da haben Sie leider recht.«
Es bringt ihn fast um, die nächste Frage zu stellen. »Sind Sie immer noch nicht an einer Kandidatur interessiert?«
Ich drehe die Handflächen nach oben und lächle. »Nicht mehr als Sie, Shad. Einen schönen Tag noch.«
Draußen auf der Straße stehe ich für einen Moment in der Sonne und schaue hinüber zum Gerichtsgebäude. Irgendwo in seinem Innern ringt ein weißer Mann namens Doug Jones mit seiner Angst vor dem Tod und mit der Entscheidung, wann er das Amt des Bürgermeisters niederlegen soll. Ich bin überrascht, dass er so lange gewartet hat, angesichts der Schwere seiner Diagnose. Ich habe zugesehen, wie ein Onkel von mir an Lungenkrebs gestorben ist,
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