Blackmail: Thriller (German Edition)
Zeugnisse an die Schüler. Nachdem er fertig ist, werfen sie wie ein Mann ihre Hüte in die Luft und verleihen ihrer Abschlussfeier damit endlich den Stempel des Hergebrachten.
Ich steige vom Podium hinunter ins Gedränge und bahne mir einen Weg zu Mia. Sie ist umgeben von Klassenkameraden und Eltern, also bleibe ich ein paar Meter abseits stehen und warte. Wenige Augenblicke später sehe ich Drew und Ellen Elliott durch die Menge auf mich zukommen. Ein paar Leute gaffen, als die beiden vorbeigehen, doch die meisten kümmern sich um ihre eigenen Angelegenheiten.
Zu meiner Überraschung – und Befriedigung – bleibt Natchez weiterhin jene exzentrische Stadt, in der Leute, die ihre Ehegatten mit jemand anderem im Bett überrascht haben, nach wie vor gemeinsam zu Partys gehen und ihren Todfeinden liebenswürdig einen Drink einschenken können.
Ellen trägt ein Designerkostüm, doch sie sieht bleich und ausgezehrt aus. Sie nimmt zurzeit an einem ambulanten Entziehungsprogramm teil, das von einem einheimischen Arzt überwacht wird. Alle drei Tage fährt Drew mit ihr nach New Orleans zu einem Psychotherapeuten. Er hat mir verraten, dass Ellen am schlimmsten an einem Detail aus dem Autopsiebericht zu tragen hat, das ich mir erst wieder ins Gedächtnis rufen musste. Kate Townsend starb durch Strangulation, doch die »Blutung« in ihrem Gehirn, verursacht durch den Sturz und den Aufprall auf die Eisenfelge, hätte sie wahrscheinlich umgebracht, wäre sie nicht vorher stranguliert worden. So hat Ellen Kate letztendlich also nicht umgebracht, hat ihr aber eine Verletzung zugefügt, die tödlich gewesen wäre.
Sie ist nur deswegen einer Anklage entkommen, weil niemand auf der Welt weiß, dass sie am Ort des Verbrechens gewesen ist – niemand außer dem unheiligen Fünfgestirn bestehend aus Drew, mir, meinem Vater, Mia und Quentin Avery, und niemand von uns wird je darüber reden.
Nachdem die letzten Gratulanten Mias sich entfernen, signalisiere ich Drew, mit mir zu ihr zu gehen.
»Eine wunderschöne Rede, Mia«, sage ich und drücke sie an meine Schulter.
Sie blickt dümmlich drein. »Finde ich nicht.«
»Besser als meine auf jeden Fall.«
»Zugegeben. Warst du auf Drogen oder was?«
»Ich war mit den Gedanken woanders.«
Plötzlich wird ihr bewusst, dass Drew und Ellen hinter ihr stehen. Sie wendet sich um und winkt ihnen verlegen zu. »Hi.«
»Das war eine schöne Rede«, sagt Ellen. »Konsequent auf den Punkt gebracht.«
»Danke.«
Unbehagliches Schweigen folgt diesen Worten.
»Drew möchte dir etwas sagen, Mia«, sage ich schließlich in die Stille hinein.
»Tatsächlich?«
Drew nickt und lächelt sie an. »Ich möchte dir danken für alles, was du für mich getan hast.«
»Sie haben mir bereits gedankt. An dem Tag, als wir uns im Planet Thailand begegnet sind.«
Ellen lächelt, als könnte sie es kaum noch aushalten, ihr Geheimnis loszuwerden. »Wir möchten dir auf eine mehr spürbare Weise danken, Mia.«
»Aber … Sie haben mir doch schon ein Geschenk gemacht.«
»Die Schmuckschatulle?«
Mia nickt.
Ellen lacht, und Drew errötet. »Mia«, sagt er, »ich war heute bei meinem Börsenmakler und habe ein Depot auf deinen Namen einrichten lassen.«
Mia nickt, doch ich bin nicht sicher, ob sie begreift, was Drew ihr sagt. Die Aufregung des Tages, ihre Rede, die Gedanken an die Party, die im Anschluss stattfindet – das alles dürfte sie sehr ablenken. Während Drew nach den richtigen Worten sucht, kommt ein Mädchen herbeigerannt, umarmt Mia, stößt einen Freudenschrei aus und rennt zu jemand anderem.
»In meinem Namen?«, fragt Mia. »Ich verstehe nicht.«
»Es ist ein College-Fonds«, erklärt Drew. »Er soll dir helfen, deine Ausgaben an der Brown zu bestreiten.«
Mia errötet. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll …«
»Frag ihn einfach, wie viel Geld es ist«, sage ich zu ihr.
»Oh nein. Es ist alles in Ordnung. Das wäre nicht nötig gewesen, Dr. Elliott. Wirklich nicht.«
Ellen nimmt Mias Hand und sieht ihr in die Augen. »Es sind hunderttausend Dollar, Mia. Und du hast jeden Cent davon mehr als verdient.«
Mia blinzelt ungläubig. Dann fängt ihre freie Hand an zu zittern, und eine Träne tritt in ihre Augen. »Das muss ich meiner Mom sagen. O Gott …!« Sie beugt sich vor und umarmt Drew und Ellen gleichzeitig. »Haben Sie etwas dagegen, wenn ich zu meiner Mutter laufe und es ihr sage?«
»Geh nur«, sagt Ellen. »Und unsere besten Wünsche zum Abschluss.«
Wie benommen
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