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Blackout

Blackout

Titel: Blackout Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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nötig, aber mir war nicht wohl in der Rolle des Beichtvaters. Ich preßte die Lippen zusammen und betrachtete sie mit betonter Distanziertheit. »Sie müßten die Ehe kennen, die Stuart und ich führten, um zu verstehen, wie er das alles ohne mein Wissen tun konnte.« Mein Schweigen sagte: Überzeuge mich. Sie senkte den Kopf und begann.
    »Wir haben uns in Seoul kennengelernt«, sagte sie. »Kurz nach Kriegsende. Mein Vater war Professor der Sprachwissenschaften gewesen, und meine Familie war wohlhabend, aber wir hatten Beziehungen zu den Sozialisten, und die Koreanische CIA hat sie alle getötet. Das war so nach dem Krieg: Man ermordete die Intellektuellen und alle, die keine blinden Sklaven des Regimes waren. Alles, was wir besaßen, wurde konfisziert oder zerstört. Mich hat man versteckt, das heißt, man hat mich zu Freunden gegeben am Tag bevor die Horden der koreanischen Geheimpolizei in unser Haus einfielen und allen die Kehlen aufschlitzten - der Familie, den Dienern, sogar den Tieren. Und es wurde immer schlimmer; die Regierung hörte nicht auf mit ihren Rachefeldzügen. Die Familie, die mich versteckt hatte, bekam es mit der Angst zu tun und stieß mich hinaus auf die Straße. Ich war fünfzehn, aber sehr klein, sehr mager, und sah aus wie zwölf. Ich habe gebettelt, habe Abfälle gegessen. Und ich - ich habe mich verkauft. Ich mußte es tun, um zu überleben.«
    Sie hielt inne, schaute an mir vorbei, schöpfte neue Kraft und fuhr dann fort.
    »Als Stuart mich fand, hatte ich Fieber, Läuse und Geschlechtskrankheiten, dazu Ausschlag am ganzen Körper. Es war in der Nacht. Ich hatte mich in einer Gasse hingelegt und mit Zeitungspapier zugedeckt, neben einem Cafe, wo die GIs zum Essen hingingen und sich Barmädchen holten. Ich wußte, daß es gut war, in solchen Gegenden zu warten, denn die Amerikaner warfen immer so viel Lebensmittel weg, daß man damit ganze Familien ernähren konnte. Ich war so krank, daß ich mich kaum rühren konnte, aber ich wartete stundenlang und zwang mich dazu, wachzubleiben, damit mir die Katzen nicht alles wegfraßen. Das Lokal schloß kurz nach Mitternacht. Die Soldaten kamen heraus, laut und betrunken, und stolperten durch die Gasse. Dann kam Stuart, allein und nüchtern. Später erst erfuhr ich, daß er nie Alkohol trank. Ich versuchte, still zu sein, aber in meiner Not habe ich dann einfach geheult. Er hat es gehört, ist hergekommen, so groß, ein Riese in Uniform, hat sich über mich gebeugt und gesagt: ›Keine Angst, kleines Mädchen.‹ Er hob mich hoch und trug mich in seine Wohnung. Er hatte viel Geld, jedenfalls genug, um sich eine eigene Wohnung außerhalb der Kaserne mieten zu können. Die GIs waren nach Kriegsende im Bereitschaftsdienst oder auf Erholung, feierten und machten viele ungewollte Babys. Stuart wollte damit nichts zu tun haben. Er saß in seiner Wohnung und schrieb Gedichte oder fummelte an seinen Kameras herum. War allein.«
    Sie schien Zeit und Raum vergessen zu haben, starrte gedankenverloren auf die dunklen Wände mit den Regalen. »Er hat Sie in seine Wohnung mitgenommen«, erinnerte ich sie.
    »Fünf Wochen lang hat er mich gepflegt. Er hat Ärzte mitgebracht, hat mir Medizin besorgt. Hat mich gefüttert und gebadet, hat an meinem Bett gesessen und mir aus Comic Books vorgelesen- ich habe amerikanische Comic Books geliebt, weil mein Vater sie mir immer von seinen Reisen mitgebracht hatte. Little Orphan Annie. Terry und die Piraten. Blondie und Dagobert. Stuart hat sie mir alle vorgelesen, mit seiner weichen, sanften Stimme. Er war ganz anders als alle Männer, die ich bis dahin kennengelernt hatte. Mager, still, wie ein Lehrer mit seiner Brille, die seine Augen so groß machte. Oder wie ein Vogel. Ja, ich fand, er sah aus wie ein großer Vogel.
    Nach sechs Wochen war ich gesund. Er kam zu mir ins Bett und hat mich geliebt. Heute weiß ich, daß das zu den Verrücktheiten gehört - er mußte gedacht haben, ich bin ein Kind, und das hat ihn sexuell erregt. Aber ich fühlte wie eine Frau. Und als ich dann im Lauf der Jahre zur Frau geworden war, als ich kein Kind mehr für ihn sein konnte, da hat er das Interesse an mir verloren. Er hat es gemocht, wenn ich mir Kinderkleider angezogen habe- ich bin klein, und die meisten haben mir gepaßt. Aber als ich älter wurde und die Welt kennenlernte, wollte ich nichts mehr damit zu tun haben. Ich habe versucht, mich zu behaupten, und er hat sich zurückgezogen. Vielleicht war das die Zeit, als er mit seinen

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