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Blackout

Blackout

Titel: Blackout Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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hatte, die sterblichen Überreste eines Jungen namens Nemeth, der ein paar Meilen weiter oben an dieser Straße verunglückt war. Ich fragte mich, was seine letzte Vision gewesen sein mußte, was für ein Impuls eine entscheidende Synapse ausgelöst haben mochte, im letzten Augenblick, bevor ein riesiges Maschinenmonster aus dem Nichts auf ihn zugerast kam… Und was hatte ihn dazu getrieben, mitten in der Nacht auf dieser einsamen Straße dahinzuspazieren? Inzwischen kämpfte sich die Müdigkeit, unterstützt von der Monotonie der Fahrt, langsam aber unbeirrbar an meinem Rückgrat entlang, so daß ich mich wehren mußte, um wach und aufmerksam zu bleiben. Ich drehte die Musik lauter und öffnete alle Fenster des Wagens. Die Luft war rein, aber mit schwachem Brandgeruch durchsetzt - hatte es jemand gewagt, ein Holzfeuer anzuzünden?
    Ich war so sehr damit beschäftigt, den Kopf klar zu bekommen, daß ich beinahe das Schild übersehen hätte, welches das County angebracht hatte, um die Ausfahrt zu La Casa de los Ninos anzukündigen, in zwei Meilen.
    Die Ausfahrt selbst freilich war kaum zu übersehen, keine zweihundert Meter hinter einer Haarnadelkurve der Straße. Die Zufahrt war schmal, gerade breit genug, daß zwei Fahrzeuge in« entgegengesetzter Richtung aneinander vorbeikamen, und dicht von Bäumen bestanden, die tiefe Schatten auf den Asphalt warfen. Sie stieg etwa eine halbe Meile lang stark an; hier war sie steil genug, um jeden Wanderer abzuschrecken, der nicht dort oben ein festes Ziel vor Augen hatte. Aber man rechnete wohl auch nicht mit Laufkundschaft. Die Gegend war perfekt geeignet für ein Arbeitslager, eine Farm, eine Haftanstalt oder alle sonstigen Unternehmungen, die nicht für die neugierigen Augen von Fremden und Außenstehenden bestimmt waren.
    Die Zufahrt endete an der fünf Meter hohen Barriere eines Maschendrahtzauns. Meterhohe Buchstaben verkündeten ›La Casa de los Ninos‹ in poliertem Aluminium. Rechts davon erhob sich ein handgemaltes Schild mit zwei riesigen Händen, die vier Kinder - weiß, schwarz, braun und gelb - führten und lenkten. Drei Meter jenseits des Zauns war ein Wachhäuschen. Der Uniformierte, der drinnen saß, nahm Notiz von mir, dann sprach er zu mir durch eine Quasselbox, die am Tor befestigt war.
    »Kann ich Ihnen helfen?« Die Stimme klang stählern und mechanisch wie menschliche Äußerungen, die in Bytes verwandelt, in einen Computer eingegeben und von diesem wieder ausgespuckt wurden.
    »Doktor Delaware. Ich bin mit Mr. Kruger für drei Uhr verabredet.«
    Das Tor glitt auf.
    Der Seville durfte ein paar Meter weit fahren, ehe ihn eine orange- und weißgestreifte, mechanische Schranke an der Weiterfahrt hinderte. »Guten Tag, Doktor.«
    Der Wachmann war jung, mit Schnurrbart, und wirkte ernst. Seine Uniform war dunkelgrau und paßte zu seinem Gesichtsausdruck. Das Lächeln täuschte mich nicht. Er filzte mich mit den Augen.
    »Tim wartet auf Sie im Verwaltungsgebäude. Das ist hier entlang und dann links. Den Wagen können Sie auf dem Gästeparkplatz stehenlassen.«
    »Danke.«
    »Wir freuen uns über Ihren Besuch, Doktor.«
    Er drückte auf einen Knopf, und der orange-weißgestreifte, mechanische Arm hob sich zum Gruß.
    Das Verwaltungsgebäude sah so aus, als hätte es auch schon zur Zeit der japanischen Internierten einem ähnlichen Zweck gedient. Es trug alle Merkmale des ebenerdigen, bösartigen Barackenstils militärischer Bauten, und die Bemalung der Fassade- ein babyblauer Himmel mit weißen Wölkchen- war zweifellos eine zeitgenössische Ergänzung und Milderung. Das Empfangsbüro war mit Eichenimitation getäfelt und wurde von einer großmutterhaften Frau in einem naturfarbenen Baumwollkleid beherrscht.
    Ich stellte mich ihr vor und erhielt für meine Mühen ein großmütterliches Lächeln.
    »Tim kommt gleich zu Ihnen. Bitte, setzen Sie sich doch und machen Sie es sich bequem.«
    Es gab wenig Interessantes zu betrachten. Die Drucke an den Wänden sahen aus, als ob man sie bei einem Motel ausgeliehen hätte. Es gab zwar ein Fenster, doch es bot lediglich einen Ausblick auf den Parkplatz. Weiter hinten war dichter Baumbewuchs- Eukalyptus, Zypressen und Zedern-, aber von meinem Platz aus sah man nur die Stämme, einen breiten, graubraunen Streifen. Ich beschäftigte mich mit einer zwei Jahre alten Nummer von Die Straßen Kaliforniens. Und ich brauchte nicht lange zu warten. Eine Minute, nachdem ich mich gesetzt hatte, ging die Tür auf, und ein junger Mann

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