Blackout
umfangreichen Terminplan. Er hat diese Woche Fernssehaufnahmen bei der Merv Griffin-Show und fliegt anschließend nach New York zu einer Sendung bei›A. M. American‹.«
Er verkündete die Termine für McCaffreys Fernsehauftritte mit dem würdevollen Gehabe eines Kreuzritters, der den Heiligen Gral enthüllt. »Heute paßt es mir vorzüglich.«
»Fein. Sagen wir, gegen drei?«
»Gegen drei.«
»Wissen Sie, wo Sie uns finden?«
»Nicht genau. In Malibu?«
»Im Malibu Canyon.« Er schilderte mir, wie ich fahren sollte, und fügte dann hinzu: »Wenn Sie hier sind, können Sie ja unsere Testbogen ausfüllen. Es ist in Fällen wie dem Ihren nichts als eine Formsache, Doktor, aber wir müssen die Vorschriften einhalten. Obwohl ich mir nicht vorstellen kann, daß psychologische Tests viel nützen bei der Überprüfung eines Psychologen, nicht wahr?«
»Ich glaube kaum. Wir entwerfen sie, also können wir sie auch unterlaufen.«
Er lachte und bemühte sich, es kollegial klingen zu lassen. »Haben Sie sonst noch Fragen?«
»Ich glaube nicht.«
»Wunderbar. Dann sehen wir uns um drei.«
Malibu ist mindestens ebensosehr Idol wie Wirklichkeit. Das Idol wird vom Fernsehen in die Wohnzimmer Amerikas gestrahlt, auf den Kinoleinwänden ausgebreitet, in die Rillen der LPs gegraben und auf die Umschläge billiger Taschenbücher gedruckt. Dieses Idol ist das Bild eines endlosen Sandstrands, das Bild von geölten, nackten, bronzebraunen, perfekten Leibern, von Volleyball am Strand, sonnengebleichtem Haar, vom Lieben unter einer Decke auf dem Sand, mit einem koitalen Rhythmus, der dem Rhythmus von Ebbe und Flut angepaßt ist; von Millionen-Dollar-Strandhäusern, die auf Pfählen ruhen, Pfählen, die keineswegs in die terra firma gerammt sind, und die tatsächlich manchmal Hula tanzen; von Straßenkreuzern, Tang und Kokain. All das stimmt. Aber in gewissen Grenzen. Es gibt auch ein anderes Malibu, ein Malibu, das die Canyons und die Kiesstraßen umfaßt, die sich durch die Kette der Santa Monica-Berge einen Weg bahnen. Dieses Malibu hat keinen Ozean. Das wenige Wasser, das es hier gibt, kommt in Form von Bächlein, die durch schattige, tiefe Rinnen tröpfeln und verschwinden, sobald die Temperatur steigt. Es gibt ein paar Häuser in diesem Malibu, die nicht weit von der Canyonstraße entfernt liegen, aber ansonsten herrscht hier meilenweit die Wildnis. Es gibt noch Berglöwen, die in den einsameren Gegenden dieses Malibus umherziehen, und Rudel von Kojoten, die nachts auf die Jagd gehen und ein Huhn, eine Beutelratte oder einen fetten Frosch erbeuten. Es gibt schattige Senken, in denen sich die Baumfrösche so üppig vermehren, daß man auf sie tritt und denkt, man sei in weiche, graue Erde getreten. Bis sie sich bewegen. Es gibt eine Vielzahl von Schlangen- Königsschlangen, Vipernattern, Klapperschlangen - in diesem Malibu. Und abgeschiedene Ranches, wo die Menschen in der Illusion leben, die zweite Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts sei noch gar nicht angebrochen. Saumpfade, die durch dampfende Pferdeäpfel markiert werden. Ziegen. Taranteln.
Es gibt auch viele Gerüchte, die sich um dieses zweite, das strandlose Malibu ranken. Von Ritualmorden, die hier durch satanische Kultgruppen verübt werden. Von Leichen, die nie gefunden werden, nicht gefunden werden können. Von Menschen, die sich beim Wandern verirrten und von denen man nie wieder etwas gehört hat. Horrorgeschichten, aber vielleicht ebenso wahr wie die vom Traumstrand und dem blonden Glück auf dem Badehandtuch.
Ich bog von der Küstenstraße ab, fuhr die Rambla Pacifico hinauf und überquerte die Grenze zwischen dem einen und dem anderen Malibu. Der Seville kletterte mühelos die Steigung empor. Ich hatte ein Django Reinhardt-Band im Kassettenrekorder, und die Musik der Zigeuner paßte vorzüglich zu der Einsamkeit, die sich vor meiner Windschutzscheibe ausbreitete: dem Serpentinenband der Landstraße, das im einen Augenblick von der gnadenlosen Sonne des Pazifiks versengt und im nächsten von riesigen Eukalyptusbäumen beschattet wurde. Ein ausgetrockneter Gießbach auf der einen Seite, ein steiler Abhang auf der anderen. Eine Straße, die den müden Reisenden zwang, weiterzufahren, und die Versprechungen bot, welche nie eingehalten werden konnten. Ich hatte die Nacht zuvor unruhig geschlafen, hatte an Robin und an mich gedacht und die Gesichter der Kinder gesehen: Sarah Quinn, die zahllosen kleinen Patienten, die ich in den letzten Jahren behandelt
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