BLACKOUT - Morgen ist es zu spät - Elsberg, M: BLACKOUT - Morgen ist es zu spät
Selbst wenn wir damals sofort gewusst hätten, wer hinter dem Angriff auf ein NATO -Mitglied steckt, Russland hätte sich auf ein paar übereifrige Jungs in patriotischem Taumel herausgeredet. Dass hinter denen Militär und Geheimdienst stehen, müssen sie erst einmal beweisen.«
»Na ja«, murmelte Michelsen. »Beweise findet man schnell, wenn man sie braucht. Wenn ich an den angeblichen Grund für den Irakkrieg denke …«
Der General hatte sie nicht gehört, doch der Verteidigungsminister warf ihr einen vernichtenden Blick zu.
»Kriege wurden zwar schon aus geringerem Anlass begonnen«, bemerkte der NATO -General. »Aber wegen ein paar Jungen?
China infiltriert seit mindestens einem Jahrzehnt intensiv IT -Systeme westlicher Staaten und Unternehmen. Denken Sie an die Trojaner, die schon 2007 auf Computern des deutschen Bundeskanzleramts und deutscher Ministerien gefunden wurden. Dasselbe gilt für die Infiltration des Weißen Hauses 2008, jene von Öl- und Energiefirmen 2009, die Aufzählung könnte ich endlos weiterführen.«
»Mir wäre weiterhin das Motiv ein Rätsel«, warf der Innenminister ein. »Wir haben das oft genug diskutiert. Die Weltwirtschaft ist längst so sehr vernetzt, dass eine Zerstörung Europas und der USA auch auf den Rest verheerende Auswirkungen hätte.«
»China steht vor jeder Menge Probleme. Soziale Ungerechtigkeit, der notwendige Umbau der Wirtschaft, das Überalterungsproblem aufgrund der jahrzehntelangen Ein-Kind-Politik. Die Kommunistische Partei kämpft an vielen Fronten, und wie wir alle wissen, ist ein gemeinsamer Feind ein willkommenes Mittel, um über solche Probleme hinwegzutäuschen. Den findet man am besten außerhalb der eigenen Grenzen, in einem Krieg.« Zum ersten Mal seit Beginn der Diskussion bewegte der General mehr als sein Gesicht. Er beugte sich ein wenig nach vorn, der Kamera entgegen.
»Sehen Sie, verehrter Herr Bundeskanzler, ich bin ein Militär alter Schule. Meine ersten Jahre saß ich in einem Leopard-Panzer. Aber auch ich habe begriffen, dass die Kriege der Zukunft nicht unbedingt mit Gewehren, Panzern oder Kampfjets ausgefochten werden. Sondern genau so, wie wir es gerade erleben. Wir können – nein, dürfen – nicht darauf warten, dass jemand die erste Kugel auf uns schießt oder die erste Bombe über einer unserer Städte abwirft. Das wird der Gegner nicht tun. Weil er es nicht mehr tun muss. Weshalb soll er seine Soldaten vor unsere Gewehre und Kanonen schicken, wenn er uns bequem und sicher von seinem Schreibtisch in zehntausend Kilometer Entfernung vernichten kann? Verstehen Sie? Der Erstschlag ist erfolgt! Der Gegner braucht nicht einmal Kernwaffen. Sogar für die Atomexplosionen sorgen wir selbst. Die erste hat bereits Teile Frankreichs verwüstet. Weitere sind nur eine Frage der Zeit. Zumindest die können wir noch verhindern, wenn wir jetzt aktiv werden.«
»Ein Gegenschlag zerstört Anlagen, tötet Menschen in China, garantiert aber noch längst nicht, dass bei uns der Strom wieder fließt«, wandte der Innenminister ein.
»Aber er bringt den Gegner eher dazu, den Angriff auf uns zu beenden«, mischte sich der Verteidigungsminister ein.
»Oder erst recht zuzuschlagen«, widersprach der Innenminister.
»Die Vereinigten Staaten und die NATO haben 2011 ihre Strategie für solche Fälle festgelegt. Angriffe auf IT -Infrastrukturen werden als kriegerischer Akt betrachtet. Sie erlauben uns, mit konventionellen oder digitalen Waffen zurückzuschlagen.«
Er lehnte sich wieder etwas zurück, um nicht zu aggressiv zu wirken, schien Michelsen.
»Wir müssen nicht gleich Atomraketen nach Peking schicken«, erklärte er. »Auch wir beherrschen die moderne Kriegsführung. In einer ersten Stufe wäre denkbar, auf ähnliche Weise zu reagieren, indem man einigen wichtigen Metropolen den Strom abstellt.«
»Wer kann das?«, fragte der Innenminister.
»Glauben Sie, die westlichen Militärs haben in den vergangenen Jahren geschlafen?«, fragte der NATO -General. »Schanghai, Peking« – er schnippte mit dem Finger –, »geben Sie das Okay, und in ein paar Stunden geht dort auch nichts mehr.«
Michelsen beobachtete auf den Gesichtern der Anwesenden, dass sie immerhin beeindruckt waren.
»Noch einmal, Herr Bundeskanzler«, fügte er eindringlich hinzu. »Was Sie in diesem Konflikt nicht bekommen werden, ist die eine smoking gun . Aber wenn Sie vor die Tür gehen, werden Sie sehen, dass der Schuss abgefeuert wurde. Und uns schwer verwundet hat.
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