BLACKOUT - Morgen ist es zu spät - Elsberg, M: BLACKOUT - Morgen ist es zu spät
mit dem Strom schieben lassen, während in ihren Adern das Adrenalin raste. Wie hatte sie sich nur hinreißen lassen können? Die Kinder brauchten sie doch!
Brüssel
»Ich muss an diese Seite ran«, erklärte Manzano.
Er sah inzwischen besser aus als noch vor einer halben Stunde. Aus blutunterlaufenen Augen in einem schwarzen Gesicht hatte er sie angestiert, nachdem Angström die Tür geöffnet hatte.
»Jedes Mal, wenn ich dich sehe, siehst du noch schlimmer aus als beim letzten Mal!«, war es Angström entfahren. Die Freude, ihn lebendig zu sehen, überwog den Ärger, dass sie seinetwegen die bislang schlimmste Nacht ihres Lebens verbracht hatte.
Er war mit einem Fahrrad zu ihrer Wohnung gekommen. Mithilfe einiger Hygienetücher und einer kostbaren halben Flasche Wasser plus Seife hatten sie ihn immerhin so weit sauber bekommen, dass man sich nicht mehr vor ihm fürchten musste. Sah man mal von den roten Augen, der wieder aufgeplatzten Narbe am Kopf und ein paar blauen Flecken im Gesicht ab, die er sich im Gefängnis zugezogen hatte, wie Angström vermutete. Er hatte nicht erzählt, woher sie stammten.
Sie hatten von ihrem Aufenthalt berichtet, den beengten Verhältnissen, den katastrophalen hygienischen Zuständen, aber immerhin waren ihre Zellengenossinnen einigermaßen zivilisierte Personen gewesen. Alle drei konnten nur rätseln, was das Aufsichtspersonal zur Öffnung der Zellen bewogen haben mochte. Wahrscheinlich doch die Furcht, ansonsten den Feuertod Hunderter Gefangener verantworten zu müssen.
»Ich habe hier kein Internet, wie du dir vorstellen kannst«, sagte Angström.
»Ich muss«, beharrte Manzano.
Fast wirkte er manisch, geradezu besessen auf sie. Vielleicht die Aufregungen der vergangenen Nacht, dachte sie, der fehlende Schlaf. Die flackernden Kerzen auf dem Esstisch verstärkten den Eindruck.
»Wie spät ist es jetzt?« Er sah auf die Küchenuhr über der Tür. Fast sechs Uhr abends.
»Weißt du, ob es in der Nähe Strominseln gibt, die wir irgendwie erreichen könnten?«
»Nein. Keine in der Nähe, die nächste ist gut hundertfünfzig Kilometer entfernt in Deutschland – und das ist der Stand von vorgestern. Kann gut sein, dass sie inzwischen wieder zusammengebrochen ist. Wie willst du dort hinkommen?«
Manzano starrte sie an, seine Kiefer arbeiteten.
»Dann muss ich noch einmal an deinen Arbeitsplatz.«
Angström glaubte, sich verhört zu haben.
Als sie nicht antwortete, fuhr er fort: »Das ist die einzige Möglichkeit, diese Seite genauer zu untersuchen. Verstehst du, vielleicht haben wir hier eine Kommunikationsplattform der Angreifer entdeckt! Ich muss das untersuchen!«
In seinem Eifer schien er ihre Irritation nicht zu bemerken.
»Vor nicht einmal vierundzwanzig Stunden wurden wir dort verhaftet. Und du willst noch einmal hin?«
»Versuchen muss ich es. Ich verstehe, wenn ihr nichts damit zu tun haben wollt. Aber ich muss hinein. Wie gelingt mir das?«
Angström schüttelte den Kopf. »Du spinnst. Gar nicht, ohne Ausweis.«
»Keine Chance?«
Kommandozentrale
Die Bilder erschienen zuerst auf der Webseite eines japanischen Senders. Dessen Korrespondent in Den Haag hatte sie per Satellit geschickt. Das niederländische Parlamentsgebäude stand in Flammen. Es wird, bemerkte einer seiner Mitstreiter, Lekue Birabi, zufrieden. Er erinnerte sich, wie er den Nigerianer während seines Studienaufenthalts in der britischen Hauptstadt kennengelernt hatte. Der Sohn eines Stammeshäuptlings aus dem Nigerdelta hatte dort seine Doktorarbeit an der renommierten London School of Economics and Political Science geschrieben. Sie waren sich von Beginn an sympathisch gewesen. Seit seiner Jugend engagierte sich Birabi im Widerstand gegen die Ausbeutung des Nigerdeltas durch die Zentralregierung und internationale Ölkonzerne. Nach dem Scheinprozess und der Hinrichtung des Aktivisten Ken Saro-Wiwa durch das nigerianische Regime Mitte der Neunziger, die für weltweite Empörung sorgten, wanderte er für kurze Zeit sogar ins Gefängnis, wo er gefoltert wurde. Seine Eltern starben bei einem Angriff einer rivalisierenden Volksgruppe, die von einem der Ölkonzerne finanziert wurde. Er konnte fliehen und dank eines Stipendiums studieren.
Damals begann er mit Birabi und ein paar anderen jene Idee zu konkretisieren, die sie in durchdiskutierten Nächten geboren hatten. So wie die anderen, die in den folgenden Jahren dazugestoßen waren. Personen unterschiedlichster Herkunft, Nationalität, sozialer
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